Sterben War Gestern
einem Zweirad unterwegs. Inge Nowak schielte zur Tür. Hoffentlich kam Ewald bald, damit sie hier wegkam.
„Es tut natürlich nichts zur Sache. Aber irgendetwas muss Ihnen doch fehlen, sonst wären Sie ja nicht in der Klinik. Ich finde es einfach bewundernswert, dass Sie sich trotzdem so engagieren. Also, ich meine, ich wollte mich bedanken.“ Sylvia Eberstätter hatte das sehr sanft gesagt, was Inge augenblicklich erleichterte.
„Berufskrankheit. Also beides. Die Tatsache, dass ich hier bin, und die Tatsache, dass ich es nicht lassen kann.“
Inge Nowak war plötzlich sehr müde. Sie wollte überhaupt nichts mehr von der ganzen Sache hören. Und sie wollte in ihr kleines Zimmer zurück, sich unter der Bettdecke vergraben und vielleicht ein wenig weinen. Vor allem aber wollte sie auf gar keinen Fall in der kühlen Abenddämmerung auf eine BMW steigen und sich festhalten müssen.
„Wie kommen Sie denn zurück in die Seerose ?“, fragte Sylvia Eberstätter mit Blick auf den Helm, der auf dem Stuhl neben ihr lag.
„Hergekommen bin ich auf einem Motorrad. Aber zurück nehme ich wohl ein Taxi.“
„Kommt gar nicht in Frage. Ich bringe Sie schnell hin.“
„Nein, machen Sie sich keine Umstände, ich …“
„Es macht mir keine Umstände, Frau Nowak. Es ist mir eine Freude. Wirklich. Und außerdem meine Pflicht. Immerhin haben Sie eine Aussage gemacht, sind krankgeschrieben, und ich habe eine gewisse Verantwortung, dass Sie gut nach Hause kommen.“
Inge Nowak war zu erschöpft, um sich zu widersetzen. Sie ließ sich zu einem Kamillentee überreden, ließ es zu, dass die Kollegin die Rechnung bezahlte und überließ es sogar Sylvia Eberstätter, Ewald zu erklären, dass er den Heimweg alleine antreten müsse.
„Kein Problem!“ Er zwinkerte Inge zu und bestellte sich ein alkoholfreies Bier. „Wir sehen uns dann zu Hause. Spätestens um zehn!“
Kriminalhauptkommissar Erich Werle befand sich nicht auf dem Rückflug, er saß auf dem Sofa von Helene Teuber. Sie hatte tatsächlich für ihn gekocht, und hätte er sie dafür entlohnen sollen, wäre ihm dafür kein Preis zu hoch gewesen. Was sie nach einer kleinen Ewigkeit auf dem Balkon ihrer Wohnung mit Blick auf die Isar schließlich gegessen hatten, nachdem er sie dabei beobachtet hatte, wie sie in ihrer offenen Küche mit großen japanischen Messern hantierte, hätte er nun nicht mehr mit Gewissheit sagen können, nur dass es ein Reisgericht gewesen war, das sie mit Stäbchen gegessen hatte. Er war sich daneben mit seiner Silbergabel so unbeholfen vorgekommen, als wüsste er das filigrane Essen nicht zu schätzen, als verstünde er nichts von asiatischem Lebensstil. Was der Wahrheit entsprach.
„Kochen Sie?“, hatte sie ihn gefragt.
„Selten“, hatte er geantwortet, was gelogen war, denn die richtige Antwort lautete: Nie.
Den Wein hatte er ausgesucht, einen Roten aus zehn verschiedenen Sorten, die er fast alle nicht kannte und die sie ordnungsgemäß in einem entsprechenden Regal flach liegend lagerte. Sie war, das war unübersehbar, eine Feinschmeckerin. Die ganze Wohnung hatte einen eigenen Stil, das Zusammenspiel der Möbel schuf eine unverwechselbare Mischung aus altbayrischer Tradition und modernstem Innendesign. Holz, Glas, Metall und immer wieder Leder. Darauf saßen sie auch jetzt, einander gegenüber, er im Sofa, sie auf einem Sessel, schwarz, weich und mit dem typischen Geruch nach Gegerbtem.
„Müssen Sie nicht bald am Flughafen sein?“, fragte Helene Teuber mit Blick auf die Uhr.
Er sah ihr in die Augen: „Wollten Sie mich nicht hinbringen?“
Sie schmunzelte. „Und wie geht es jetzt weiter?“
„Sie sagen doch hier, wo es langgeht.“ Er war ein wenig betrunken. Beschwingt genug, um sein Rückflugticket verfallen zu lassen und den Mut zu haben, nicht zu flüchten.
„Was macht Sie so sicher, dass ich Sie nicht gleich rauswerfe?“
„Nichts.“
„Und wohin gehen Sie, wenn ich es tue?“
„In ein Hotel.“
„Machen Sie das öfter?“
„Was?“
„Sich zum Essen einladen lassen und gleich über Nacht bleiben wollen.“
„Wer sagt, dass ich hier übernachten will?“
„Ihre Augen.“
Ein hitziges Gefühl überrollte ihn, blähte ihm die Herzgegend auf und blieb unterhalb der Gürtellinie stecken. Sagen konnte er nichts. Er fühlte sich ertappt und fürchtete, es nicht verbergen zu können.
„Soso“, sagte Helene und lächelte ihn an.
Helene, dachte er. Was für ein Name! Und da überkam es ihn schon wieder.
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