Sterben War Gestern
zwei Personen darin, von denen keine Gefahr ausginge.
Schon beim Betreten der Hütte spürte Inge Nowak den Tod. Es war nicht der Gestank nach Erbrochenem und Fäkalien, hier roch alles nach Angst. Und als sie in das inzwischen von den Beamten geöffnete Erdloch hinuntersah, begriff sie auch, warum: Zwei leblose Körper lagen nebeneinander wie weggeworfene Puppen.
Sicherheitshalber standen dennoch zwei Kollegen mit Waffen im Anschlag bereit, als sich ein Beamter daranmachte, die Leiter anzustellen und hinunterzuklettern. Sekunden später schaute er auf: „Er ist tot, sie lebt noch. Aber ihr Puls ist kaum noch zu spüren.“
Inge Nowak wusste, wie es weitergehen würde: Mit viel Glück käme der schnell gerufene Krankenwagen rechtzeitig und brächte die bewusstlose Ellen Weyer mit Blaulicht in die Notaufnahme des nächsten Krankenhauses. Wenn die Sanitäter aber irgendwo steckenblieben, keine Ambulanz in der Nähe wäre und das Schicksal sich nicht auf ihre Seite stellte, würde die junge Frau sehr bald in einem Plastiksack abtransportiert.
„Schreiben Sie Ihrem Chef eine SMS“, sagte Inge Nowak. „Zweieinhalb zusätzliche Tote sollten ihn nun wirklich interessieren.“
Sylvia Eberstätter nickte stumm und holte ihr Handy aus der Tasche. Inzwischen war auch Timo Heiser zum Tatort gekommen und stand ebenso ratlos wie seine Kollegin am Auto.
„Wir müssen das melden. Das Ganze. Auch, dass Werle nicht da ist. Wir brauchen Unterstützung. Sonst kommen wir in Teufels Küche.“
„Langsam, langsam“, beruhigte ihn Inge Nowak. „Für die Tatsache, dass er in einem laufenden Fall nicht erreichbar ist, kann man ihm ein Disziplinarverfahren anhängen. Das machen wir anders. Sie tun so, als ob Sie telefonisch mit ihm in Verbindung stehen. Damit ist er Ihr Ansprechpartner. Er geht einer heißen Spur in München nach und gibt Ihnen von dort aus Anweisung. Und zwar sämtliche, die ich ihnen gleich geben werde, wenn Sie mir das gestatten.“ Sie schaute von einem zur anderen. „Oder wollen Sie Ihren Chef in die Pfanne hauen?“
Beide schüttelten den Kopf.
„Gut, dann machen wir jetzt erst mal eine Lagebesprechung und vielleicht meldet sich der gute Herr Werle ja mal oder ist sogar schon unterwegs hierher.“ Sie überlegte. „Wie ist der Chef Ihres Präsidiums?“
„Ährmann, eigentlich ganz in Ordnung. Mischt sich wenig ein.“
„Gut. Ist er sonntags im Büro?“
„Nie.“
„Auch gut. Falls er eine Ausnahme macht und wissen will, warum man Ihren Chef nicht erreichen kann, sagen Sie, sein Akku ist leer und er meldet sich regelmäßig über Festnetz.“
Jetzt erst sah Inge aus dem Augenwinkel, dass Ewald kreidebleich auf seinem Motorrad saß und auf die Straße starrte. Sie entschuldigte sich bei den beiden Kommissaren und ging zu ihm.
„Es ist meistens nicht so schlimm, wie es aussieht.“ Leicht legte sie ihm die Hand auf die Schulter und ließ sie einen Moment liegen. „Ich glaube, sie kommt durch.“
„Was hat man denn mit ihr gemacht?“, fragte er mit dünner Stimme.
„Weiß ich noch nicht. Aber ich finde es heraus.“ Sie schaute aufmunternd zu ihm hoch. „Du hast ihr wahrscheinlich das Leben gerettet. Soll ich dich befördern?“
Er versuchte ein Lächeln zustande zu bringen. „Von wo nach wo?“
„Vom Praktikanten zum Trainee?“
„Einverstanden.“
„Gut, dann fährst du jetzt in die Klinik und hältst dich für nächste Aufgaben bereit. Ich brauche dich nämlich da. Und ein paar Informationen, die du mit deinem unvergleichlichen Charme bestimmt schnell bekommst. Ich melde mich.“ Sie grinste. „Schlafen dürfen wir ja sowieso nicht, da können wir auch arbeiten, oder?“
„Perfekt.“ Er setzte seinen Helm auf, startete die Maschine und fuhr davon. Allerdings etwas forscher als zuvor.
Der Mensch war einer Intuition gefolgt. Die Sache mit Lydia Kronberg hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen, er ging davon aus, dass damit der Stick in den richtigen Händen war. Wenn er jetzt noch in puncto Ellen Weyer auf Nummer sicher ginge, könnte er endlich seine Koffer packen.
Schon von Weitem sah er die Einsatzwagen der Polizei, und zum ersten Mal seit Wochen bekam der Mensch feuchte Hände. Er versuchte möglichst unbeteiligt an dem abgesperrten Waldweg vorbeizufahren, und als es weit genug hinter ihm lag, gab er Gas. Seine Gedanken verselbständigten sich. Wenn Ellen Weyer bereits tot war, wovon auszugehen war, könnte er in aller Ruhe seine Flucht vorbereiten. Wenn sie
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