Sterben War Gestern
„Was soll ich denn jetzt machen?“
„Ich habe gehört, Ihr Anwalt kommt gleich?“
„Ja, meine Tochter hat sich darum gekümmert.“
„Sie dürfen wahrscheinlich die Gegend vorerst nicht verlassen.“
„Aber wie lange denn?“
„Bis Sie nicht mehr als tatverdächtig gelten.“
„Und wie lange wird das noch dauern?“
„Längstens, bis man den Mörder Ihrer Frau gefunden hat.“
„Aber der Kommissar hier denkt …“
„Besprechen Sie das alles mit Ihrem Anwalt und vergessen Sie meinen Besuch. Wenn Sie unschuldig sind, sind Sie bald frei. Falls Ihnen noch irgendetwas einfällt, wenden Sie sich an Oberkommissarin Eberstätter. Mich finden Sie privat in der Klinik, Zimmer 101.“ Inge Nowak stand auf. „Machen Sie es gut.“
Er drückte leicht ihre Hand. „Danke.“
Kaum hatte sie den Teil des Polizeipräsidiums verlassen, in dem die Zellen untergebracht waren, saß sie bereits wieder neben Timo Heiser im Auto und war auf dem Weg zu Ellen Weyers Wohnung.
„Meine Kollegin ist schon dort.“
„Geht schnell bei euch mit den richterlichen Anordnungen.“
„Bei uns ist nicht ganz so viel los wie in Berlin.“
Den Rest der Fahrt sprachen sie nicht viel. Inge Nowak wollte nicht zweimal das Gleiche erzählen und von ihrem Besuch bei Jürgen Esser erst berichten, wenn sie alle zusammen wären. Bis dahin dachte sie über das nach, was Jürgen Esser über die Angst seiner Frau vor Tablettenabhängigkeit gesagt hatte. Sie musste unbedingt Einsicht in Angelas Krankenakte bekommen. Und mit Hoffmann über die Obduktion reden. Wie lange war die Halbwertszeit von Valium? Konnte es sein, dass ihr das Medikament verabreicht worden war, um sie leichter zu töten? Überhaupt hatten sie noch nicht hinreichend in Erfahrung gebracht, wo Angela Esser ihren Mörder getroffen hatte. In der Klinik? Außerhalb? Und wo genau? Waren sie zusammen zum Strand gelaufen, hatten sie sich am Raucherraum getroffen?
„Wer hat eigentlich Angela Esser zuletzt gesehen?“, fragte sie Heiser.
„Eine Krankenschwester.“
„Dieselbe, die sie später identifiziert hat?“
„Ja, Agathe Simonis. Sie hat mitbekommen, wie die Frau um halb zehn die Klinik verlassen hat.“
„Hat sie sich nicht gewundert?“
„Haben wir auch gefragt. Aber sie meint, viele Patienten würden sich vor dem Schlafengehen noch mal die Beine vertreten.“
„Ist sie über die Terrasse oder den Haupteingang hinausgegangen?“
„Zur Straße hin.“
„Eigenartig.“
„Die Krankenschwester dachte, sie wollte auf dem Parkplatz auf ihren Mann warten, der von München hierher unterwegs war: Deshalb kam es ihr nicht komisch vor.“
„Auch nicht, dass sie nicht wieder zurückkam?“
„Sie ist kurz danach ins Schwesternzimmer gegangen und um zehn Uhr hat sie die Eingangstür abgeschlossen. Wer in der Zwischenzeit das Haus betreten oder verlassen hat, weiß sie nicht. Die Schwestern haben strikte Anweisung, um 22 Uhr die Klinik zu schließen. Ganz gleich, wer dann drin oder draußen ist.“
„Verstehe.“
Der Wagen hielt ziemlich genau dort, wo Ewald Klee am Vortag das Motorrad geparkt hatte. Inge Nowak versuchte möglichst zügig den Hof zu überqueren, doch der Alte am Fenster hatte sie gleich erblickt.
„Hallo, Sie!“, rief er, und die Hauptkommissarin winkte ihm offensiv zu, als wäre es das Normalste von der Welt, dass sie diesmal mit einem Polizeiaufgebot vorbeikäme.
Drinnen war die Spurensicherung schon am Werk, Sylvia Eberstätter inspizierte gerade das Badezimmer.
„Und, schon was gefunden?“, wollte ihr Kollege wissen.
„Wenn wir wüssten, wonach wir suchen, wäre es einfacher.“
„Hallo, Frau Nowak“, begrüßte sie dann Inge. „Haben Sie etwas Neues für uns?“
„Angela Esser hat etwas vor ihrem Mann verheimlicht. Ganz offenbar hatte es mit Ellen zu tun. Sie war angeblich auch hier in dieser Wohnung gewesen. Er dachte allerdings, sie hätte einen Kurschatten.“
„Und, könnte das sein?“
„Glaube ich nicht. Letzte Woche machte sie keinen besonders verliebten Eindruck. Im Gegenteil. Auf mich wirkte sie kurz vor ihrem Tod ziemlich in sich gekehrt und niedergeschlagen.“
„Vielleicht hat es nicht geklappt. Sie wollte mehr von dem Mann, er fühlte sich bedrängt, war vielleicht verheiratet, hatte Angst, dass seine Frau von dem Seitensprung erfährt, und hat die Geliebte erschlagen, die ihm zu viel wurde?“, warf Heiser ein.
Inge Nowak verkniff sich die Frage, was den Oberkommissar so sicher machte, dass Angela
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