Sterben War Gestern
allerdings noch lebte, stellte sie eine echte Gefahr für ihn dar. Er müsste mit allen Mitteln verhindern, dass sie vernommen würde.
Ruhig, beschwor er sich, ganz ruhig. Noch ist nichts verloren. Es ist nur der Film im Kopf, der das Schlimmste auf die innere Leinwand bannt.
Doch als das Martinshorn ertönte und er im Rückspiegel den Rettungswagen auf ihn zurasen sah, wusste er sofort, dass das Schlimmste gerade seinen Lauf nahm. Und dass er etwas unternehmen musste.
Erich Werles Schreibtisch machte einen derart aufgeräumten Eindruck, dass Inge Nowak sich fragte, ob er je daran arbeitete. Er schien weder Dinge notieren noch nachschauen zu müssen, denn es gab keine Stifte und kein Papier, geschweige denn einen Computer. Sie setzte sich auf einen der beiden Holzstühle davor, als ob der nicht anwesende Hauptkommissar ihr gegenübersäße.
„Falls hier jemand fragt, wer ich bin: eine Zeugin aus der Klinik, die sowohl Angela Esser als auch Ellen Weyer kennt, okay?“ Dann drehte sie sich mitsamt dem Stuhl zu Eberstätter und Heiser um. „Bevor wir anfangen, noch ein Vorschlag – können wir uns duzen?“
„Gerne, ich bin Sylvia.“
„Timo.“
„Inge. Also, was haben wir?“
Timo hatte bereits eine Magnettafel herangerollt und einen blauen Stift in die Hand genommen.
Sylvia setzte sich links neben Inge und sagte: „Drei Morde und einen Mordversuch.“
Inge wollte gerade etwas ergänzen, als es an der Tür klopfte. Noch bevor sie ganz geöffnet war, erkannte Inge eine vertraute Stimme: „Es wird Zeit, dass du die Gegend wieder verlässt, Nowak. Seit du hier bist, türmen sich die Leichen auf meinem Tisch.“ Hoffmann betrat das Büro und grinste in die Runde. „Dachte mir schon, dass das eine mit dem anderen zusammenhängt.“
„Wieso?“
„Der Kollege, der eigentlich mit der Schusswunde des Fotografen beschäftigt wäre, wollte lieber wieder zurück auf die Hochzeit, bei der er Trauzeuge war. Bei der Fallübergabe hat er mir erzählt, dass die Begleiterin des Toten im Krankenhaus liegt und jede Menge Medikamente intus hat. Und da habe ich mir erlaubt, mit dem zuständigen Arzt zu telefonieren und eine Blutprobe der Frau in der Klinik anzufordern.
„Und?“
„Die Gute hat einen Medikamentencocktail verabreicht bekommen, den zehn Pferde umhauen würden. Ein Wunder, dass ihre inneren Organe dabei nicht schlappgemacht haben. Aber das Beste kommt noch: Es gibt dieselbe eigenartige Mischung von Substanzen, die ich auch bei Angela Esser gefunden habe. Diazepam, Pregabalin und noch irgendetwas, was ich nicht zuordnen kann. Also übersetzt: zwei Antikonvulsiva, die gegen Epilepsie und als Psychopharmaka eingesetzt werden, gemixt mit einem mir bisher unbekannten Stoff.“
„Interessant“, sagt Inge. „Noch, was?“
„Der Fotograf wurde mit einem schnöden Kleinkaliber umgeblasen“, erklärte Hoffmann weiter. „Der Täter ist sehr nah rangegangen, hat etwa einen Meter weggestanden, während das Opfer in seinem Auto gesessen hat. Dann erst wurde der Tote in das Erdloch geschafft.“
„DNA?“
„Träum weiter. Wollte euch nur mal kurz den Zusammenhang vermelden.“
„Danke, Gert“, sagte Inge Nowak, „ich liebe Männer, die mitdenken.“
„Ich auch.“ Er zwinkerte ihr zu. „Ich geh dann mal weiterspielen. Hatte eh nichts anderes am Wochenende vor. Musst du nicht irgendwann wieder in deiner Zelle sein?“
„Sondertherapie. Ich darf heute Nacht machen, was ich will, außer ins Bett gehen.“
„Na, dann viel Spaß. In Rostock klappen sie gegen zehn die Bürgersteige hoch.“ Er verabschiedete sich mit einem Handzeichen und gab praktisch Göckel die Klinke in die Hand, der mit einer Kiste im Türrahmen stand.
„Wo soll ich die Sachen aus der Wohnung der Journalistin hinstellen?“
Sylvia Eberstätter deutete auf ihren Schreibtisch und räumte eine Ecke frei.
„Kontoauszüge, Steuerbescheide, die Post und der Inhalt ihres Schreibtischs.“
„Danke. Gibst du gleich alles, was wir sonst noch haben, zur Analyse?“
„Da spielt sich vor morgen Mittag sowieso nichts ab“, erwiderte der Leiter der Spurensicherung. „Aber ich kümmere mich darum. Schönen Sonntag noch!“ Und schon war er wieder verschwunden.
„Kann ich mal die Post sehen?“ Inge Nowak deutete auf die Kiste.
Sylvia suchte einige Umschläge heraus und reichte sie ihr. „Wo waren wir stehengeblieben?“
„Bei drei Morden und einem Mordversuch. Fassen wir zusammen, was wir wissen.“ Und mit Blick auf Timo:
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