Sterbensangst (German Edition)
um.
Es ist vor etwas mehr als einer Woche signiert und datiert worden.
Er rennt zur Tür.
Reißt das Handy aus der Tasche.
Ruft den einzigen Menschen, den er kennt, an, der die Fähigkeit besitzt, die Toten wieder zum Leben zu erwecken.
Kapitel 26
Drei Stunden später hält McAvoy vor dem Wakefield Hospital an. Der Schnee hat diesen äußersten Vorposten von Yorkshire noch nicht erreicht. Es ist bitterkalt, und die Luft riecht so, als hätte eine feuchte, kranke Lunge sie ausgeatmet.
McAvoy schiebt sich die Haare aus den Augen. Er strafft den Rücken und klappt seinen Kragen hoch.
Er atmet ein letztes Mal die kalte Luft ein, tritt dann durch die automatischen Türen und geht über den Linoleumboden von undefinierbarer Farbe. An der Rezeption hat jemand versucht, eine Art Weihnachtsdekoration anzubringen, aber sie wirkt beinahe obszön vor dem Hintergrund des abblätternden Putzes an Wänden und Deckenplatten, die von braunen Wasserflecken übersät sind.
Er bemüht sich auszusehen, als wüsste er genau, wohin er will. Passiert den Empfangsschalter, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Wählt einen beliebigen Gang aus und folgt zunächst der Beschilderung zur Onkologie. Dann hat er das Gefühl, in die falsche Richtung zu gehen, und nimmt einen nach rechts abzweigenden Korridor. Unvermittelt muss er sich an die Wand drücken, als ihm zwei stämmige, breithüftige Schwestern mit ausladenden Brüsten, die aus den blauen Uniformen zu platzen drohen, entgegenkommen und ihn fast über den Haufen rennen. Seite an Seite schieben sie zwei große Karren mit Bettwäsche vor sich her.
»Aufpassen«, sagt die ältere mit zähem West-Yorkshire-Akzent.
»Bisschen eng, was?«, meint die andere, eine Rothaarige mit runden Brillengläsern, die schon seit zehn Jahren aus der Mode sind.
»Wenn man sich schon überfahren lässt, dann doch wenigstens von so netten Fahrerinnen … Äh, nur zur Sicherheit, bin ich hier richtig auf dem Weg zur Intensivstation …?«
Fünf Minuten später steigt McAvoy im dritten Stock aus dem Lift. Seine Nasenflügel blähen sich unter dem Geruch nach Blut und Bleichmittel; nach geschmacklosem Essen und dem Quietschen von Rollwagen und Gummisohlen auf narbigem Linoleum.
Ein feister Gefängnisbeamter lehnt am Empfangstisch und schlürft aus einem Plastikbecher. Die Stoppeln auf seinem Schädel sind mit einem Haarschneider auf Stufe zwei eingekürzt, und kleine Blumenkohlohren ragen wie die Griffe von Teetassen aus seinem unförmigen Kartoffelgesicht.
McAvoy stellt Augenkontakt her. Zum ersten Mal seit dem letzten Anstoß beim Rugby versucht er, größer zu erscheinen, als er ist. Er hofft auszusehen wie jemand, mit dem zu rechnen ist.
Er zückt seine Dienstmarke, und der Wächter richtet sich gerader auf.
»Chandler«, meint McAvoy geschäftsmäßig und amtlich. »Wie steht es?«
Der Mann wirkt erst einen Moment lang verwirrt, aber die Dienstmarke und der befehlsgewohnte Ton verweisen ihn an seinen Platz. Er macht keinen Versuch, McAvoy zu fragen, warum er das wissen will und wer ihn geschickt hat.
»Drüben auf der Privatstation«, sagt er mit einem Akzent, der für McAvoys geübtes Ohr nach schottischem Grenzland klingt.
»Gretna?«, fragt er mit einem Anflug von Lächeln.
»Annan«, erwidert der Wärter erfreut. »Und Sie?«
»Highlands. Ein ganzes Eck hinter Edinburgh.«
Sie lächeln sich an, zwei Schotten in der Fremde eines Krankenhauses in Yorkshire, die gerade einen Hauch von Heimat verspürt haben.
»Er ist in schlechtem Zustand, nicht wahr?«
»Nicht so schlimm, wie wir zuerst dachten. Es gab sehr viel Blut. Die Haut am Hals war teilweise richtig weggeklappt. Er muss es selbst getan haben. Niemand kam in seine Nähe.«
»Ist er bei Bewusstsein?«
»Kaum. Sie haben eine Notoperation durchgeführt, aber sie sprechen von Mikrochirurgie, falls die Nähte nicht halten. Vor einer Minute war er jedenfalls noch tot für die Welt. Sein Gesicht ist bandagiert wie eine Mumie. Ich bin nur schnell einen Kaffee trinken gegangen. Mein Kollege kommt gleich vom Mittagessen zurück. Man hat uns keine Besucher angekündigt.«
McAvoy nickt. Walzt das aufkeimende Misstrauen des Mannes einfach nieder.
»Ich brauche fünf Minuten mit ihm«, sagt er und durchbohrt den Wärter mit Blicken. »Ob er schläft oder nicht.«
Der Mann scheint Einwände erheben zu wollen, aber in McAvoys Blick liegt eine so unbeugsame Unerbittlichkeit, dass er lieber beiseitetritt und sich sagt, dass es ja nicht viel
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