Sterbensangst (German Edition)
aussieht, als wäre es eine Stammesfehde aus Afrika oder so was. Vom Kingston bis zur Dreifaltigkeitskirche sind es nur hundert Meter, und Terry, der Barkeeper, meint, dass Nev am Samstagnachmittag für eine gute Stunde verschwunden war. Das ist überhaupt nicht seine Art. Normalerweise bleibt er bis zur Sperrstunde hocken. Neville behauptet, er hätte ein Geschenk für seine Enkelin gekauft, aber …«
»Enkelin?« McAvoys Stimme klingt ungläubig. »Wie alt ist er?«
»Ende fünfzig. Aber fit wie ein Turnschuh.«
»Chief Inspector, ich habe den Täter gesehen. Er war in Höchstform. Schnell. Ich glaube nicht …«
»Richten Sie’s Pharaoh einfach aus, wenn sie damit fertig ist, sich herauszuputzen.«
Die Verbindung ist tot.
McAvoy stützt die Stirn in die Hand. Er hört das Blut in den Ohren rauschen. Kann es denn so einfach sein? Nichts als ein Verbrechen aus Rassenhass? Ein alter Fanatiker, der seine Frustrationen nicht mehr unter Kontrolle hat? McAvoy fragt sich, wie es weitergeht. Ob sein eigener Beitrag, wie nebensächlich er auch gewesen sein mag, überhaupt zur Kenntnis genommen werden wird. Ob Colin Ray versucht, Trish Pharaoh in der Befehlskette zu übergehen.
Er blickt auf. Eine steife Brise rüttelt an den nackten Ästen der wie mit Kohle gezeichneten Bäume hinter den schmutzigen Scheiben. Ein Sturm zieht auf. Womöglich ein Schneesturm.
Wieder klingelt sein Telefon.
»McAvoy«, sagt er bedrückt.
»Sergeant? Hallo, hier ist Caroline Wills. Von Wagtail Productions. Ich habe gerade einen Moment Zeit. Was kann ich für Sie tun?«
Aector McAvoy öffnet sein Notizbuch und zieht mit den Zähnen die Kappe von seinem Stift.
Konzentriert sich auf Fred Stein.
»Danke für Ihren Rückruf, Miss Wills. Es geht um Fred Stein.«
»Ach so.« Sie klingt enttäuscht. »Ich hatte schon gehofft, es wäre der Fall Daphne Cotton.«
McAvoy steckt sich den Stift zwischen die Zähne, als eine Art physische Erinnerung daran, dass er aufpassen muss, was er sagt. »Sie verfolgen die laufenden Ermittlungen?«
»Nur nebenbei«, sagt sie leichthin. »Schreckliche Sache, nicht wahr? Armes Mädchen.«
»Allerdings. Nun gut. Fred Stein.«
»Ja, ja. Traurige Geschichte. Netter alter Knabe. Wir kamen gut miteinander aus. Aber Sie sind doch vom CID in Hull, oder nicht? Was haben Sie mit der Sache zu tun?«
»Mr Steins Schwester lebt hier in der Nähe. Sie hat Zweifel wegen der Umstände seines Todes, und ich habe ihr versprochen, alles zu tun, um die Lücken zu füllen.«
»Die Frau des Chief Constable, nicht wahr?« Sie lacht, ein warmer, angenehmer Laut. Gebildet. Definitiv aus dem Süden. McAvoy hält sie für Anfang dreißig und ziemlich ausgebufft.
Er beschließt mitzuspielen.
»Polizeidirektion, genau genommen. Vermutlich übernimmt er den Chefsessel, bevor er sechzig ist.«
»Ach so. Dann ergibt es einen Sinn.«
»Was können Sie mir also berichten?«
»Tja, ich habe meine Aussage schon vor den isländischen Behörden gemacht, und ich werde sie vor dem Untersuchungsrichter wiederholen. Das Wenige, was ich weiß, ist schnell erzählt. Ich führe eine kleine Produktionsfirma, spezialisiert auf Dokumentarfilme. Wir haben einige Beiträge für die großen Sender produziert, aber hauptsächlich laufen unsere Filme in den Kabelkanälen. Vor etwa fünf Jahren machte ich einen Bericht über den Untergang der Dunbar . Dabei habe ich einige Zeit in Hull verbracht. Meine Güte, was für ein Loch.«
McAvoy hört sich selbst lachen. »So kann man es ausdrücken.«
»Ja, ja. Sehr ländlich. Der wahre Norden, wenn ich so sagen darf.«
»Allerdings. Eine Schrotflinte in jeder Hand und ausgesprochen miesepetrig gegenüber Fremden.«
»Sie wissen, was ich meine«, kichert sie.
»Warum waren Sie an der Dunbar interessiert?«
Das Schiff war ein hochmoderner Super-Trawler gewesen, der in den späten siebziger Jahren während eines gewaltigen Sturms vor der Küste von Norwegen sank. Jahrelang hatten die Umstände des Untergangs in der Fischereigemeinde von Hull als umstritten gegolten. Es hieß, dass die Dunbar ein Spionageschiff gewesen sei, das in russische Gewässer eingedrungen war, um feindliche Schiffe zu fotografieren. Schließlich war es die Zeit des Kalten Krieges. Die Gerüchteküche brodelte. Manche meinten, dass die Besatzung immer noch am Leben sei, eingesperrt in einem russischen Gulag. Selbst als die örtliche Fischereiindustrie schon kieloben trieb, hörte das Gerede über die Dunbar nicht auf, bis ein
Weitere Kostenlose Bücher