Sterbensangst (German Edition)
lächelte. »Es gab viel Lob wegen Ihrer Recherche. Dachte, das würde Sie freuen.«
Das ist jetzt zwei Stunden her, und der Morgen tröpfelt so dahin. Die ersten drei Telefonanrufe, die McAvoy entgegengenommen hat, haben wenig dazu beigetragen, seine Stimmung zu heben.
Seine Gedanken schweifen ab zu Fred Stein. Dessen Geschichte hat nicht nur etwas Merkwürdiges, sondern fast schon Unheimliches an sich. McAvoy versteht sich auf Schuldgefühle. Weiß, wie man sich fühlt, wenn man eine todbringende Situation überlebt, während andere weniger Glück hatten. Aber wer würde das Gleichgewicht auf so drastische, künstliche Art wiederherstellen wollen? Sich einem Filmteam anzuschließen? Sein eigenes Rettungsfloß mitzuführen? Er weiß zu wenig von Fred Stein, um sich ein Bild über seine Persönlichkeit zu machen, über sein Potential zum Selbsthass, doch seiner Erfahrung nach neigen ehemalige Berufsfischer nicht zu solchen Extravaganzen.
Er schlüpft hinaus auf den Korridor und spricht Caroline Wills eine Nachricht auf die Mailbox – der Dokumentarfilmerin, die es geschafft hat, den Star ihrer Show siebzig Meilen vor der Küste von Island zu verlieren.
Dann kehrt er zurück an seinen Schreibtisch. Die Einsatzzentrale nimmt langsam Gestalt an. Die Aktenschränke stehen an der hinteren Wand, die Schreibtische sind säuberlich in zwei Reihen aufgestellt wie Sitzbänke im Bus, und der Stadtplan, der an der Pinnwand neben dem schmutzigen Fenster hängt, enthält bereits mehr Stecknadeln als gestern. Definitive Sichtungen, mögliche Sichtungen und Vermutungen. Ein uniformierter Beamter spricht leise in ein Telefon, allerdings deutet seine Körpersprache nicht auf eine heiße Spur hin. McAvoy hat ein Dutzend Textnachrichten von Tremberg, Kirkland und Nielsen erhalten, die ihn über ihre Aktivitäten auf dem Laufenden halten. Nielsen arbeitet die Zeugenliste ab und verliert langsam die Geduld. Alle haben etwas gesehen, aber keiner richtig. Etwas gehört, aber nicht zugehört. Sie sind Zeugen des Mordes geworden, können jedoch nicht sagen, woher der Mörder gekommen ist, geschweige denn, wohin er verschwunden ist.
Sophie Kirkland ist droben im Techniklabor und arbeitet sich durch Daphne Cottons Festplatte. Soweit sie bis jetzt feststellen konnte, hat sie gerne Websites über christliche Glaubenslehre und Justin Timberlake besucht.
McAvoy würde es nur äußerst ungern zugeben, aber er langweilt sich. Seine normale Alltagsarbeit kann er nicht weiterführen, weil die Akten drüben in der Priory Road sind, und entgegen seinen Befürchtungen nutzen die Beamten seine Datenbank genau wie geplant, so dass er nicht einmal besonders viele Korrekturen im System durchführen muss.
Sein Handy klingelt. Die Nummer des Anrufers ist unterdrückt. McAvoy lässt sich auf seinen Stuhl zurücksinken und nimmt mit spürbarer Erleichterung ab, weil sich endlich etwas tut.
»Detective Sergeant Aector McAvoy«, meldet er sich.
»Ich weiß, mein Sohn. Ich habe ja gerade Ihre Nummer gewählt.« Es ist DCI Ray.
»Ja, Sir.« McAvoy setzt sich gerade hin. Richtet seine Krawatte.
»Ich nehme an, Pharaoh ist beschäftigt?«
»Sie bereitet sich gerade auf ihr Interview mit der Hull Mail vor …«
»Macht sich für die Nahaufnahmen schön, was?«
McAvoy erwidert nichts. Eigentlich müsste er jetzt mindestens einen Auflacher von sich geben, um den müden Scherz seines Vorgesetzten zu würdigen. Aber der hat gerade Trish Pharaoh beleidigt, und das nimmt McAvoy ihm krumm.
»Geht es um etwas Bestimmtes, Sir?«
Colin Rays Stimme verändert sich. Wird aggressiver. »Allerdings, mein Sohn. Sie können ihr ausrichten, dass ich und Shaz einen Verdächtigen einliefern. Neville, den Rassisten. Den Säufer vom Kingston-Hotel. Er hat einer Vernehmung zugestimmt, aber Sie müssen noch nicht gleich eine Presseverlautbarung herausgeben. Wir wollen ihn einfach mal einen Blick auf einen Verhörraum werfen lassen und sehen, ob das seinem Gedächtnis auf die Sprünge hilft.«
McAvoys Herz rast. Er steht zu schnell auf und reißt das Telefon vom Schreibtisch. »Wo liegt die Verbindung?«, stammelt er.
»Er kann Ausländer nicht ausstehen, unser Neville«, sagt Ray. »Er hasst die Arschlöcher, um genau zu sein. Und er hat ein ziemlich aufbrausendes Temperament. Ihre kleine Lehrerin hat mich darauf gebracht. Ich vermute, Neville wollte einfach einem Bimbo eine Lektion erteilen und hat sich gedacht, am besten hängt er es einem anderen Nigger an. Damit es so
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