Sterbensangst (German Edition)
seltsam«, antwortet sie, schlagartig ganz aufgeregt und verschwörerisch. »Gestern zur Teezeit hat mich die Dame angerufen, die den Dokumentarfilm mit unserem Fred drehte. Sie ist wieder im Land und wollte sich mal melden.«
Sie zögert, als wäre sie nicht sicher, wie sie weitermachen soll. McAvoy, der viel Übung darin hat, Gespräche in Gang zu halten, lässt ihr alle Zeit, die sie braucht.
»Das Rettungsfloß«, sagt sie plötzlich mit einer Stimme wie ein Zeigefinger, der auf einen bestimmten Punkt einer Landkarte herabstößt. »Das Rettungsfloß, in dem sie ihn gefunden haben. Das hätte es gar nicht geben dürfen. Die Lady vom Fernsehen hat sich, als sie wieder an Land waren, noch einmal mit dem Kapitän unterhalten. Er hatte keine Ahnung, woher es stammte. Jemand muss es mit an Bord gebracht haben. Und das war bestimmt nicht Fred. Das Fernsehteam war die ganze Zeit mit ihm zusammen. Wahrscheinlich gibt es eine ganz einfache Erklärung dafür, aber es klingt so …«
»Eigenartig«, beendet er den Satz und hört sie erleichtert die Luft ausstoßen.
»Glauben Sie, es könnte mehr dahinterstecken?«, fragt sie, zwischen gespannter Neugier und verwirrter Traurigkeit schwankend. »Ich meine, wer würde denn Fred etwas antun wollen? Es ist nur, weil er vor all den Jahren überlebt hat. Ich weiß nicht, aber …«
McAvoy hört gar nicht mehr zu. Er starrt seine eigene Reflexion im Spiegel an. Alles, was er durch den Dampf in dem beschlagenen Glas erkennen kann, ist die Narbe an seiner Schulter. Sie hat die Form einer Klinge.
Er denkt an eine Kirche. An blutige Leichen und ein weinendes Kind in den Armen seiner hingeschlachteten Mutter.
Die Ungerechtigkeit ist wie ein Brennen in seiner Brust.
Seine Gedanken gleiten zurück, ohne dass er es verhindern kann. Er hat alles getan, um das Bild zu verdrängen, und doch blitzt es jetzt wieder vor seinem inneren Auge auf. Er sieht sich selbst vor ein paar Monaten, wie er rückwärts stolpert und seine Füße auf Schlamm und nassen Blättern ausgleiten, während Tony Halthwaite, der Killer, an den niemand glauben wollte, die Klinge mit Schwung gegen seine Kehle führt.
Unwillkürlich erschauert er; sieht das Messer bogenförmig herabsausen und mit geübter Präzision auf seine exponierte Halsschlagader zuschießen.
Er erinnert sich, Roisins Gesicht vor sich gesehen zu haben. Und Fins. Ein letzter Strohhalm aus Instinkt und Überlebenswillen.
Nach dem er griff, indem er sich zur Seite warf.
Er fühlt wieder, wie die Haut an seiner Schulter aufgeschlitzt wird und er mit dem Stiefel zutritt, während sein Blut spritzt. Überlebt. Der Klinge ausweichen kann, der andere zum Opfer gefallen sind …
Zweiter Teil
Kapitel 10
»Sie hatten doch bloß drei Gläser, Hector«, spottete Pharaoh, während sie ihn in der Tür der Einsatzzentrale erwartete wie eine Schuldirektorin, die nach Schwänzern Ausschau hält. Sie hatte gelacht, als McAvoy mit rotem Gesicht die Treppe heraufgekeucht kam und seine Tasche sich im Geländer verhedderte und ihn zurückriss, als hätte jemand ein Lasso nach ihm geworfen. »Da möchte ich Sie nicht nach einer Sitzung bei mir zu Hause erleben. Sie würden vierzehn Tage lang nicht mehr aus dem Bett kommen.«
Sie trug einen knielangen roten Lederrock und eine enge schwarze Strickweste, die ihren eindrucksvollen Busen zur Geltung brachte. Make-up und Frisur waren makellos. Sie hatte McAvoy in der Nacht zuvor in einem Verhältnis von drei zu eins unter den Tisch getrunken, aber ohne die dunklen Ringe unter ihren Augen hätte sie auch gerade von einem entspannten Urlaub auf der Yacht eines reichen alten Gönners zurück sein können.
»Es tut mir schrecklich leid, aber der Verkehr, und Fin, und …«
»Machen Sie sich keinen Kopf«, sagte sie lächelnd. »Wir haben uns auch ohne Sie durchgewurstelt.«
»Die Sache im Radio«, ächzte er. »Wohnhausbrand? Orchard Park?«
Sie nickte. »Das habe ich den Jungs in Greenwood übertragen. Wir können keinen Mann entbehren. Sergeant Knaggs kümmert sich darum. Er war ein bisschen enttäuscht, als er merkte, dass es nur darum ging und ich ihm keinen Platz im Fall Daphne anbieten wollte.«
Daphne, konstatierte McAvoy. Nicht Der Fall Cotton . Pharaoh nahm die Sache demnach persönlich.
»Eindeutige Sache also?«
»Nicht ganz sicher. Wer immer da gegrillt worden ist, es war nicht der Hauseigentümer. Der liegt bereits im Krankenhaus. Einer der letzten Anständigen aus dem Viertel. Netter alter
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