Sterbensangst (German Edition)
Schwieriger noch wäre es, wieder hinauszugelangen, ohne sich in ein Gespräch verwickeln zu lassen, das einen innerhalb von zwanzig Minuten davon überzeugt, dass Linwood Manor der beste Ort ist, um die eigene Person, Familienangehörige und jede Menge Geld zu parken.
»Hallöchen. Scheußliches Wetter, nicht wahr? Aber es sieht ja aus, als wären Sie den Umständen entsprechend gekleidet. Glauben Sie, der Schnee bleibt liegen? Vielleicht bekommen wir ja diesmal weiße Weihnachten. Das letzte Mal ist schon Jahre her. Unsere Gäste werden begeistert sein. Letztes Jahr gab es ein ganz schönes Gejammer. Kann ich Ihnen behilflich sein, mein Lieber?«
McAvoy hat Mühe, nicht von der Wucht ihres Frohsinns erdrückt zu werden. Sie ist zwar schlank, erinnert ihn aber irgendwie an eine fette, glückliche, viktorianische Köchin mit kräftigen, bemehlten Armen und rotem Gesicht. Er bemitleidet die armen Säufer, die hier hereingetaumelt kommen und dieses fröhliche Hindernis passieren müssen, bevor sie mit ihrem Entgiftungsprogramm anfangen. Noch zwanzig Sekunden in ihrer Gesellschaft, denkt McAvoy, und ich brauche eine Flasche Brandy .
»Mein Name ist Detective Sergeant Aector McAvoy. Humberside Police CID, Dezernat für Kapitalverbrechen und organisierte Kriminalität. Ich habe mich gefragt …«
»Kapitalverbrechen, so? Sind nicht alle Verbrechen kapital? Ich meine, für manche Leute ist es ja auch ein kapitaler Verlust, wenn ihnen das Fahrrad gestohlen wird. Meinem Neffen ist das passiert, und er war so verzweifelt …«
Sie schwätzt weiter, bis er am liebsten über den Tisch springen würde, um ihr mit Gewalt die Lippen zu verschließen. Ihr Lächeln bleibt wie angeklebt, ohne je ganz die Augen zu erreichen. McAvoy muss an ein Licht im obersten Stockwerk eines leeren Hauses denken, das jemand zu löschen vergessen hat.
»Es geht um einen Ihrer Patienten«, wirft er hastig ein, als sie endlich Luft holen muss. »Russell Chandler. Ich habe vorhin angerufen, aber die Verbindung war sehr schlecht.«
»Ach, mein Lieber, damit haben wir andauernd Probleme. Wahrscheinlich liegt es am Wetter. E-Mail und Internet spielen auch verrückt.«
McAvoy befeuchtet sich die Lippen und verzieht das Gesicht zur Andeutung eines Zähnebleckens. Langsam hat er die Nase voll von diesem Tag. Dieser Ausflug ist zwar abgesichert, weil er ACC Everett mitgeteilt hat, dass Barbara Stein-Collinson ihn um Hilfe gebeten hätte, um ein paar offene Fragen in Bezug auf den Tod ihres Bruders zu klären. Das hat ihm aber nicht einen wütenden Anruf von Trish Pharaoh erspart, die stocksauer war, als sie erfuhr, dass ihr Büroleiter von der Chefetage als Botenjunge missbraucht wurde. »Warum sagen Sie nicht einfach nein, Sie blöder Idiot?«, hatte sie in den Hörer gebrüllt. »Wir stecken mitten in einer Morduntersuchung, um Himmels willen. So machen Sie sich keine Freunde, McAvoy. Wenn Sie es jedem recht zu machen versuchen, endet es damit, dass jeder angepisst ist.«
Sie hatte erst eingelenkt, als er ihr einen anderen Grund lieferte, sich Sorgen zu machen, indem er nämlich Colin Rays Nachricht ausrichtete, dass dieser einen Verdächtigen aufs Revier schleifte.
»Russell Chandler«, wiederholt er nachdrücklich. »Soweit ich weiß, ist er hier Patient?«
Die Rezeptionistin schaltet ihr Grinsen ab. »Ich fürchte, das ist vertraulich.«
McAvoy schweigt. Sieht sie nur einen Moment lang mit einem Ausdruck an, der einen Computerbildschirm zum Schmelzen bringen könnte. »Es ist wichtig«, sagt er schließlich, und beinahe glaubt er schon selbst daran.
»Hausregel«, erwidert sie mit einem Hauch von Selbstzufriedenheit. Trotz des kalten Windes, der durch die offenen Türen hereinweht, spürt McAvoy, wie ihm der Schweiß über den Rücken läuft. Er ist ziemlich sicher, dass man ihn zu Chandler vorlassen würde, wenn er nur entsprechend aufträte, aber was, wenn die Klinik sich beschwert? Wie könnte er sich rechtfertigen? Chandler ist kein Verdächtiger. Nicht einmal ein richtiger Zeuge. Es geht nur um Hintergrundmaterial zu einem Fall, für den ein anderer Bezirk zuständig ist. Inzwischen fragt er sich, ob es nicht unethisch wäre, an einem Ort wie diesem überhaupt jemanden zu vernehmen. Schließlich sucht der Mann hier Hilfe gegen seine Suchtprobleme. Herrgott noch mal, Aector, was zum Teufel hast du angerichtet?
Plötzlich unsicher geworden, tritt er vom Empfangstisch zurück.
»Verzeihung, habe ich da gerade meinen Namen
Weitere Kostenlose Bücher