Sterbensschön: Thriller -
Moment, bis sie begriff, wovon Gretchen sprach, aber dann fischte sie den winzigen Digitalrekorder aus ihrer Hosentasche. Es folgte ein peinlicher Augenblick, da ihr klar wurde, dass es keinen Tisch gab, auf den sie das Gerät legen konnte, sie würde es also halten müssen, und das bedeutete, näher zu Gretchen zu rücken. Susan schob den Sessel gerade so weit vor, dass der Rekorder Gretchens Stimme auffangen würde, und keinen Zentimeter weiter.
Gretchen richtete sich zu einer sitzenden Position auf, den Rücken an der Wand neben dem Bett. Sie bewegte sich schwerfällig, als wäre ihr Kopf schwerer als sonst. Der dünne graue Baumwollpyjama mit dem V-Ausschnitt ließ sie noch kraftloser wirken.
Wenn Gretchen Lowell nicht so viele Menschen ermordet hätte, hätte sie Susan vielleicht leidgetan.
»Als ich sechzehn war«, sagte Gretchen, »habe ich einen Mann namens James Beaton getötet.«
Susan beugte sich vor. Gretchen starrte ins Leere. Susan wandte den Kopf zu Prescott. Er lehnte an der Wand beim Fenster und beobachtete Gretchen mit seinen Psychiaterknopfaugen. Susan sah zu ihrem Gerät hinunter, um sich zu vergewissern, dass das rote Licht blinkte.
»Er war verheiratet«, sagte Gretchen, »und ich bat ihn, mich in einem Motelzimmer zu treffen, in einem Laden namens Hamlet Inn in St. Helens.«
St. Helens lag eine Stunde westlich von Portland an einem Highway, der bei Radfahrern beliebt war – trotz des Umstands, dass sie regelmäßig von überholenden Sattelschleppern platt gewalzt wurden. Es war ein kleiner Ort. Sie hatten ihn St. Helens genannt, weil man den gleichnamigen Vulkan im Bundesstaat Washington für ein paar Wochen im Jahr, wenn sich die Wolkendecke hob, von dem Nest aus sehen konnte. Das war Susan immer irgendwie traurig vorgekommen – einen Ort nach etwas zu benennen, das ganz woanders lag.
»Es war das erste Mal, dass ich ein Skalpell benutzte«, sagte Gretchen. Sie lallte beim Sprechen, und Susan musste angestrengt lauschen, um sicherzustellen, dass sie alles richtig verstand. »Ich hatte alles, was ich brauchte, in einer Umhängetasche aus Segeltuch. Ich fesselte seine Handgelenke mit Handschellen an das Kopfende und seine Füße an die Beine des Betts, sodass er ausgespreizt dalag.« Eine zornige Röte kroch über Gretchens Wangen. »Er dachte, wir würden Sex haben«, sagte sie. »Selbst als ich ihm den Mund mit Klebeband verschloss, hatte er noch keine Angst. Es gefiel ihm. Ich war nackt. Ich hätte alles mit ihm machen können. Er war so hart, dass er die Hüften am Laken rieb. Manche Leute mögen es rau.« Ihre Augenlider waren schwer. Sie lächelte für sich. »Es sind nicht immer die, bei denen man es erwartet.«
Sie blickte Susan aus ihren blutunterlaufenen, trüben Augen an.
Archie. Dorthin sollten Susans Gedanken nach Gretchens Vorstellung wandern. Aber was für eine kaputte Beziehung Archie und Gretchen gehabt haben mochten oder auch nicht, in diese Richtung würde sich Susan keinesfalls drängen lassen. »Weiter«, sagte sie.
Gretchen grinste höhnisch. »Wie mein Bekannter James Beaton. Er war verheiratet, aber wir beide wissen, wie das so ist.« Sie wandte den Kopf zu Prescott. »Susan hat einen Vaterkomplex, Jim«, sagte sie. »Sie mag verheiratete Männer. Unerreichbare Männer.«
Susan unterbrach sie. »Er hat’s kapiert.«
Prescott hatte sich nicht bewegt. Er setzte seine schweigsame Wache an der Wand fort, die Arme verschränkt, die Miene ausdruckslos. Susan konnte nicht sagen, ob er ein wirklich guter Psychiater war oder ein auffallend schlechter.
Gretchen ließ den Blick wieder zu Susan wandern. »Er hatte kein gutes Herz«, sagte sie. Sie richtete sich auf und faltete die Beine neben sich auf dem Bett. Ihr Gesicht hatte jetzt ein wenig Farbe. »Er war gerötet und schwitzte wie ein Schwein. Sein ganzer Körper war eine einzige Ausdünstung. Schweiß. Ejakulat. Wie Gift, das aus ihm perlte. Er stank nach Verlangen. Nach ungewaschenem Schwanz.« Ihre Worte kamen jetzt weniger mühsam. Sie wischte sich den Mundwinkel ab. »Ich weiß noch, wie ihm der Schweiß in die behaarten Ohren lief, wie ein Schmierfilm auf seiner Stirn stand und Schweißbäche seitlich an seinem aufgeblähten Bauch hinunterliefen. Und er dachte, darauf wäre ich scharf … Auf ihn? Ich hatte meine Tasche unter dem Bett, holte sie hervor und nahm die Plastikplane heraus. Sie war klein zusammengefaltet, und ich musste sie kräftig schütteln, um das Ding auseinanderzufalten. Das Plastik war
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