Sterbenswort: Thriller (German Edition)
Köpfe zusammen, berühren sich an den Wangen und sehen genau in die Linse. Das Bild verschwimmt.
Erik nähert sich der Kamera, verschwindet aus ihrem Fokus. Das Bild wird schärfer. Kathrin und Amelie lächeln in die Kamera, blinzeln einem imaginären Kameramann zu, dann schiebt Heinrich sie zur Seite. Seine Lippen bewegen sich, er macht ein ernstes Gesicht. Gerade so, als hielte er ein Plädoyer in einem Gerichtssaal. Thomas lacht ihn aus, drückt ihm ein Glas Whisky in die Hand. Auch Erik erscheint wieder, ebenfalls mit einem Whisky; die drei Männer prosten einander zu.
(Schnitt, während der Ton weiterläuft.)
Das Tagpfauenauge schwebt über eine saftig-grüne Wiese. Im Hintergrund stehen vier Disteln. Jetzt fokussiert die Kamera die Disteln, dazwischen klebt ein seidig-glänzendes Spinnennetz.
Ravels Boléro nimmt an Intensität zu.
(Schnitt, während der Ton weiterläuft.)
Ein Ausflug an den Wannsee, im Hintergrund das Strandbad.
Kathrin und Amelie sitzen in einem Tretboot, sie tragen Bikinis, beider Haut ist leicht gebräunt, Wassertropfen glitzern darauf. Das Bild wackelt. Derjenige, der die Kamera hält, muss sich ebenfalls auf dem Wasser befinden.
Die beiden jungen Frauen winken der Kamera zu.
Eine Hand taucht vor der Linse auf, sie scheint etwas zu justieren. Für einen Augenblick ist an einem der Finger deutlich ein Ring zu erkennen.
(Schnitt, während der Ton weiterläuft.)
Für zwei, drei Sekunden schlägt das Tagpfauenauge unmittelbar über den Disteln und dem Spinnennetz mit den Flügeln. Es scheint, als erkenne es die Gefahr, doch dann fliegt es geradewegs hinein.
Es beginnt sofort zu zappeln.
Die Akkorde im Hintergrund erklingen in schnellerer Reihenfolge.
(Schnitt, während der Ton weiterläuft.)
Amelie in schwarzen Dessous, auf rotem Untergrund. Sie räkelt sich, dazwischen immer wieder – im Takt der Musik – schnelle Schnitte. Man sieht, wie Heinrich Kathrin küsst, dann wie Heinrich Amelie küsst, dann Amelie und Kathrin und schließlich Erik mit Kathrin.
(Schnitt, während der Ton weiterläuft.)
Das Tagpfauenauge hat sich nun vollends verheddert. Von seinen bunten Flügeln ist kaum noch etwas zu sehen. Sie sind gefesselt in den weißen Fäden des Spinnennetzes, das unter den letzten Zuckungen des Schmetterlings vibriert. Am äußersten rechten Bildrand ist ein behaartes Spinnenbein zu sehen.
(Schnitt, während der Ton weiterläuft.)
Surreal wirkt es, wie Heinrich und Erik zu den Klängen der Musik aufeinander losgehen. Ihrer Mimik und Gestik ist zu entnehmen, dass sie beide sehr aufgebracht sind. Wie zwei um ein Weibchen streitende Gorillamännchen strecken sie sich ihre Brustkörbe entgegen. Am Küchentisch daneben springen Kathrin und Thomas auf, sie versuchen zu schlichten. Auf dem Tisch selbst liegt bunt gefärbtes Papier. Heinrich ballt seine Hand zur Faust.
(Schnitt, während der Ton weiterläuft.)
Eine fette schwarze Spinne nähert sich dem vormals wunderschönen Tagpfauenauge. Für einen Augenblick schiebt sie sich über den Körper des gefangenen Schmetterlings und verdeckt ihn dabei. Gleich darauf bewegen sich ihre acht Beine in rasanter Geschwindigkeit. Sie webt.
Das Orchester begleitet sie dazu, immer im Takt.
(Schnitt, während der Ton weiterläuft.)
Heinrich im Alter von Mitte dreißig; er steht an der Terrassenbrüstung seiner Penthouse-Wohnung. Neben ihm eine deutlich jüngere Frau. Beide halten Sektkelche in ihren Händen, prosten sich fröhlich lächelnd zu. Töpfe mit blühenden Blumen stehen neben ihnen auf der Terrasse. Heinrich greift der Frau mit seinem freien Arm um die Hüfte und zieht sie an sich heran. Die Frau lässt es geschehen. Die beiden küssen sich inniglich.
Die Musik wird dabei immer lauter.
(Schnitt, während der Ton weiterläuft.)
Von dem Tagpfauenauge ist nichts mehr zu sehen. Es ist komplett in einen weiß glänzenden Kokon eingehüllt. Die Kamera zoomt heran, nah, ganz nah. Der Kopf der Spinne ist nun in Großaufnahme zu sehen, bedeckt beinahe den kompletten Bildschirm. Ihre Kieferklauen wackeln. Dann schlagen sie mit einem gierigen, heftigen Ruck in ihr Opfer.
Mit sich überlagernden, dröhnenden Tönen erstirbt Ravels Boléro in seinem Schlussakkord.
30
Heute
N un schenkte sich Amelie ebenfalls Wasser ein. Sie zitterte dabei.
Kathrin beobachtete aufmerksam ihre eigenen Hände, die in ihrem Schoß lagen. Ruhig, ganz ruhig, beschwichtigte sie sich.
Sie atmete auf. Ihre innere Aufgewühltheit schien nicht auf ihren
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