Sterbenswort: Thriller (German Edition)
doch sie wurden sogleich durch neue ersetzt.
Amelie wusste, was sie suchte, und fand es sehr schnell.
Eriks Eltern hatten seine VHS -Kassetten nach seinem Tod ins Bücherregal gestellt. Seither standen sie dort. Erik hatte sie seinerzeit alle mit Datum beschriftet. Und wenn man die Kassette aus ihrem Pappschuber zog, so erhielt man zudem eine ausführliche Auflistung der Aufnahmen.
Amelie prüfte einige. Schließlich wählte sie zehn Kassetten aus, die sie für nützlich hielt. Die restlichen – weit mehr als 200 – schob sie in den Regalfächern so zurecht, dass auf den ersten Blick nicht auffiel, dass welche fehlten.
Nachdem sie die Kassetten in ihrer Reisetasche verstaut hatte, fiel ihr Blick auf Eriks Bett. Als erläge sie einem unsichtbaren Zwang, kniete sie sich davor. Sie neigte ihren Kopf. Natürlich hatte Eriks Mutter die Bettwäsche im Laufe der Jahre mehrmals gewaschen. Dennoch glaubte Amelie, Eriks Geruch immer noch wahrnehmen zu können. Liebevoll strich sie mit der Hand über das Kopfkissen.
Dann dachte sie an ihre Mission und verkniff sich die weiteren Tränen.
Beherzt erhob sie sich und verließ Erik.
Im Haus selbst durchwühlte sie wahllos Schränke und Schubladen. Dabei steckte sie mehr oder weniger wertvoll aussehende Gegenstände in ihre Reisetasche; zur Tarnung. Die Steins sollten es für einen ganz normalen Einbruchsdiebstahl halten.
Ohne dass irgendjemand sie gesehen hatte, verließ sie Gebäude und Grundstück auf dem gleichen Weg, über den sie eingedrungen war.
Danach fuhr sie mit ihrer Beute nach Hause.
55
Heute
D as auf- und abschwellende Blaulicht begrüßte Kathrin, als sie in die Straße einbog, in der Amelie wohnte. Es tauchte den Straßenzug im Sekundentakt in eine gespenstische Atmosphäre. Kathrin hielt in zweiter Reihe, direkt hinter dem Streifenwagen. Dass mehrere Anwohner ihre Fenster geöffnet hatten und neugierig herausstarrten, registrierte sie nur am Rande.
Rasch stieg sie aus und hetzte ins Treppenhaus. In größter Sorge um ihre Tochter nahm sie immer zwei Stufen auf einmal. Beinahe wäre sie gestolpert.
Im dritten Stockwerk baumelte eine Tür in ihren Angeln. Das Schloss lag zerstört am Boden.
Kathrin trat ein – und starrte geradewegs in die Mündung einer Waffe.
Der Daumen löste den Sicherungshebel.
Kathrin sah an der Pistole entlang zum Arm des Schützen, dann in sein Gesicht. Jetzt atmete sie auf: ein Polizist.
Dieser fixierte sie mit zusammengekniffenen Augen.
»Frau Stutzkeis? Keine Bewegung.«
»Nein, nein, das ist eine Verwechslung. Ich bin nicht Amelie. Ich bin die Mutter des entführten Mädchens.«
Mit ihrer Rechten wollte sie nach ihrer Gesäßtasche greifen, um ihr Portemonnaie mitsamt ihres Personalausweises zu zücken.
»Ich sagte: keine Bewegung!«
Der Tonfall rüde und laut, Kathrin erschrak.
Die Kollegin des Polizisten erschien hinter ihm, und er forderte sie auf, sich um Kathrin zu kümmern. Während der Beamte Kathrin weiter in Schach hielt, näherte sich die Polizistin und fischte nun selbst Kathrins Portemonnaie heraus.
»Verdammt. Wir verlieren Zeit!«
»Alles in Ordnung, Bernd. Das ist die Frau, die angerufen hat.«
Der Schütze sicherte seine Pistole und steckte sie wieder ins Halfter.
Sogleich verschwanden die beiden Uniformierten in einem Zimmer.
Direkt hinter dem Eingang die Garderobe, zwei Trenchcoats hingen dort.
Eiseskälte! Kathrin fühlte, wie sie ihren Rücken hinaufkroch.
Alle Türen, die vom Gang fortführten, standen sperrangelweit offen. Anscheinend hatten die beiden sich schon vergewissert, dass sich niemand in der Wohnung aufhielt. Keine Amelie. Keine Mia.
Erst jetzt nahm Kathrin den muffigen, abgestandenen Geruch wahr. Sie hatte ihn bei ihren Begegnungen immer auf Amelies Arbeitsplatz, das Seniorenheim, geschoben. Kathrin war überrascht: Er stammte von hier.
Sie roch auch Katzenpisse.
Du meine Güte; wie lange hatte Amelie hier nicht mehr gelüftet?
Der Teppich starrte vor Schmutz, an der Decke klebten Reste von Spinnweben. Im ersten Zimmer stapelten sich Umzugskartons. Wäre die Staubschicht darauf nicht gewesen, hätte Kathrin vermutet, hier wäre gerade eben erst jemand eingezogen.
Inmitten der Kartons ein altes Sofa, darauf lag Bettwäsche. Von oben baumelte eine Glühbirne, keine Bilder an den Wänden.
In der sich anschließenden Küche stapelte sich benutztes Geschirr, und es roch nach Schimmel. Der Wandkalender – das Geschenk einer Apotheke – zeigte ein Datum von vor drei
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