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Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde

Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde

Titel: Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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rief Seifert durch den Sprechschlitz und rannte in Richtung Straße davon.
    Endlich gelang es Meier, die Schockstarre abzuschütteln. Er drückte auf den Knopf des kleinen Funksenders, der die Pieper seiner beiden Kollegen aktivierte, während er sich im Geiste bereits die Folgen dieses Anschlags ausmalte. Wahrscheinlich würden die Wachen in Zukunft wieder verdoppelt werden, was bedeutete, dass es mit der nächtlichen Ruhe erst einmal vorbei war. Außerdem war Hees sicher nicht sonderlich erfreut über das Ganze, was wiederum hieß, dass Meiers Vorgesetzter ihm wahrscheinlich die Hölle heißmachen würde. Und nicht zuletzt würde er derjenige sein, der diese Schmiererei entfernen durfte. Alles in allem brachte ihm das Ganze vermutlich nichts als Ärger ein. So gesehen hatte er wohl das Recht, es persönlich zu nehmen.
    Junge, ich kann nur hoffen, dass du ein guter Läufer bist , sonst zeige ich dir, wer hier alt ist , dachte er wütend, während er die Tür entriegelte und hinausstürzte.
    Koschny kauerte an der Vorderseite des Wachhauses. Seit gut zehn Minuten harrte er nun in dieser Stellung aus. Von der Straße aus hätte man ihn vermutlich sehen können, doch in dem Industriegebiet waren um kurz nach Mitternacht keine Menschen mehr unterwegs. Schweiß brannte ihm in den Augen, die Erregung ließ die Nacht noch schwüler erscheinen. Seine Beine schmerzten, und der Kopfhörer, der drahtlos mit seinem Handy verbunden war, drückte schmerzhaft in seinem Ohr. Seifert war mit einer ähnlichen Freisprecheinrichtung ausgestattet, nur dass er ein kleines Aufnahmegerät zugeschaltet hatte. »Man kann nie wissen, wozu so was gut ist«, hatte Jo gesagt. »So machen wir’s bei allen Einsätzen, wegen möglicher Rechtsstreitigkeiten, und damit wir hinterher die Aktion rekonstruieren und eventuell die Koordination verbessern können.«
    Koschny hoffte, dass sie genügend Gelegenheiten zum Üben gehabt hatten, denn wenn bei diesem Vorhaben etwas schiefging, würde er vermutlich keine Gelegenheit mehr haben, seine Koordination zu verbessern.
    Er konnte Seiferts angestrengten Atem hören. »Wir sind so weit«, meldete er, und Koschny sah, wie er langsam auf das Wachhäuschen zuging und dann aus seinem Blickfeld verschwand. Er konzentrierte sich auf jedes Geräusch. Zuerst die dumpfe Stimme des Wachmanns, die er kaum verstehen konnte. Dann das Zischen der Sprühdose, etwa zehn Sekunden lang. Kurz darauf erneut Seiferts Stimme und anschließend sein Keuchen, als er um die Ecke rannte und wieder zu den anderen stieß, die sich bereits an den Zaun gekettet hatten. Im Laufen drehte er sich kurz um. »Okay, er ist hinter mir«, meldete er Koschny, der sich daraufhin sprungbereit duckte. Seine Handflächen wurden kalt und feucht. Dann sah er den Wachmann die Einfahrt hinabeilen, bis er Seifert erreicht hatte, der sich neben den anderen mit einem Sicherheitsschloss an den Zaun gekettet hatte. Der Wachmann blieb abrupt stehen, als er die vier entdeckte, die daraufhin einen lauten Sprechchor anstimmten: »Mör-der! Mör-der! Mör-der! …«
    Ebenso gut könnten sie mitten in einer Wüste nach Wasser brüllen , dachte Koschny angesichts der menschenleeren Straßen. Er sah, wie der Wachmann sein Funkgerät an den Mund hob. Offensichtlich benachrichtigte er seine Kollegen – »Mindestens zwei«, hatte Seifert ihm versichert, »und wahrscheinlich ein Wachhund« –, von denen er nur hoffen konnte, dass sie noch weit genug weg waren. Jetzt oder nie , sagte er sich, wobei ihm insgeheim das nie lieber gewesen wäre.
    Seine steifen Beine protestierten, als er aufsprang und geduckt um die Ecke des Wachhauses rannte, vorbei an der Schranke. Dies war der heikelste Moment. Der ganze Bereich um die Einfahrt war hell erleuchtet. Wenn die anderen Wachleute bereits in Sichtweite waren, würden sie sofort Alarm schlagen. Doch so fest er auch damit gerechnet hatte, es geschah nichts. Er huschte durch das Licht der Scheinwerfer, das er wie Sonnenstrahlen auf der Haut zu spüren glaubte, und tauchte hinter der Schranke wieder nach rechts in die Dunkelheit. Fast kam ihm das alles ein wenig zu leicht vor.
    Plötzlich stolperte er, und ein jäher Schmerz durchzuckte sein Fußgelenk. Er zwang sich, noch bis zu dem Zaun weiterzulaufen, der das Grundstück umgab. Keuchend lehnte er sich gegen einen Betonpfosten. Er war völlig außer Atem, obwohl er nicht einmal fünfzig Meter zurückgelegt hatte.
    Vorsichtig bückte er sich und tastete seinen Knöchel ab.

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