Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde
fremdgehen können. Aber stattdessen demonstrieren diese Wichtigtuer lieber bei Wind und Wetter da draußen gegen mich. Dabei kümmert es die meisten wahrscheinlich einen Dreck, was hier eigentlich passiert. Die brauchen nur etwas, worüber sie sich aufregen können, um ihre eigenen Probleme zu kompensieren. Und danach gehen sie dann guten Gewissens nach Hause und schlucken zwei Aspirin gegen ihre Kopfschmerzen. Vermutlich in dem Glauben, das Zeug würde auf Bäumen wachsen. Moral, Herr Kommissar, kann ziemlich doppelbödig sein.« Er ging um Sven herum und blieb vor einem kleinen Monitor stehen, der durch ein dickes Kabel mit einem grauen, etwa schuhkartongroßen Kasten verbunden war. »Sehen Sie, ich habe dieses Unternehmen aufgebaut, aber ich verstehe nicht viel von diesen ganzen technischen Geräten, und das Periodensystem der Elemente ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Ich bin kein Chemiker, ich bin Geschäftsmann, und als solchem ist es mir egal, wie ein neues Medikament zustande kommt. Ich finanziere lediglich seine Entstehung, daher bin ich nur an Resultaten interessiert. An ertragreichen Resultaten. Und mein Geschäft, Herr Kommissar, ist die Angst. Die Angst der Menschen vor Krankheit und Tod. Und das ist mitunter ein ziemlich lukratives Geschäft, wie Sie sich bestimmt denken können. Und solange es volle Krankenhäuser gibt, werde ich weitermachen, selbst wenn da draußen ganze Heerscharen Weltverbesserer herumlungern. Ich passe mich doch lediglich ihren Forderungen an. Diese Leute wollen keine Tierversuche? Bitte, mir soll’s recht sein. Ich gewinne eine Menge Zeit und Geld, wenn ich meine Produkte direkt am Endverbraucher testen kann. Die Ergebnisse sind wesentlich effizienter als bei tierischen Organismen. Keine zeitraubenden Versuche mehr, die nichts einbringen, weil die Resultate ohnehin nicht direkt auf den Menschen übertragbar sind. Dadurch könnten wir Jahre gewinnen und wären anderen Pharmaunternehmen weit voraus. Ein faszinierender Gedanke, finde ich. Zugegeben, die juristische Seite macht noch Probleme, sonst würden wir wohl kaum hier zusammensitzen und plaudern, nicht wahr?« Er lächelte Sven verschmitzt zu. »Aber auch dieses Hindernis werden wir nehmen.«
Sven war von Hees’ abartigem Humor nicht sonderlich angetan. »Sie führen also tatsächlich nicht genehmigte Versuche an Aidskranken durch«, stellte er fest.
»Nein«, widersprach Hees gelassen, »ich führe nicht genehmigte Versuche an Menschen durch, die den Erreger in sich tragen.«
»In meinen Augen ist das ziemlich makabre Haarspalterei.«
»In Ihren Augen vielleicht, aber wissenschaftlich betrachtet ist das ein großer Unterschied. Sehen Sie, jemand, der den Erreger in sich hat, ist lediglich HIV -positiv und kann ein ziemlich normales Leben führen. Als aidskrank bezeichnet man einen Menschen erst, wenn er Symptome aufweist, zum Beispiel starken Ausschlag oder Hautläsionen. Aber so weit lassen wir es gar nicht erst kommen.«
Sven sah verwirrt zu ihm auf. »Wie meinen Sie das, Sie lassen es nicht so weit kommen?«
»Nun ja, wir wählen unsere Versuchspersonen sehr sorgfältig aus, wissen Sie. Schließlich wollen wir nicht, dass bei jemandem, der gar nicht weiß, dass er den Erreger im Körper hat, eine Krankheit ausbricht.«
Svens Augen weiteten sich. »Sie infizieren diese Menschen ohne ihr Wissen mit dem Erreger?«
»Nur diejenigen, deren Lebenserwartung unter einem Jahr liegt«, bestätigte Hees unverfroren. »Und wer wäre da prädestinierter als alte, kranke Menschen? Alzheimer, Creutzfeldt-Jakob, Krebs im Endstadium … Das garantiert uns, dass die Krankheit nie zum Ausbruch kommt, weil die Inkubationszeit von Aids die Lebenserwartung der Betreffenden bei Weitem übertrifft. Um die Wirksamkeit unserer Medikamente gegenüber dem Virus zu überprüfen, ist allerdings eine ständige Kontrolle der Versuchspersonen nötig. Und wo lässt sich das besser durchführen als in einem Pflegeheim?«
»Also haben Sie eine Scheinfirma gegründet, über die Sie mehrere solcher Heime erworben haben.«
Hees nickte. »Das Personal tauschen wir weitestgehend durch unser eigenes aus, zumindest was die versuchsrelevanten Stellen betrifft. Am Anfang haben wir nur harmlose Medikamente erprobt, die wir den Leuten ins Essen gemischt haben. Später, als wir aktiv in die Aids-Forschung eingestiegen sind und erste brauchbare Laborergebnisse vorlagen, haben wir unsere Tests auch auf dieses Gebiet ausgedehnt. Nur haben uns die
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