Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde
Situation abfinden können und sich wieder beruhigen, was meinen Sie?«
Ein weiterer vergeblicher Tritt. Sven kämpfte gegen seine Fesseln, bis die Haut um seine Gelenke herum wie Feuer brannte und er erschöpft zusammensank. Es fühlte sich an, als würden seine Hände jeden Moment platzen und das angestaute Blut freigeben.
»Geht es Ihnen jetzt besser?«, fragte Hees nach einer Weile.
Sven starrte ihn voller Verachtung an.
»Nun gut«, meinte Hees. »Dann sind Sie jetzt sicher bereit, mir zu sagen, wo die Dokumente sind.«
Sven richtete sich auf und gab Hees mit dem Kopf ein Zeichen. »Kommen Sie her«, keuchte er schwach. Hees hockte sich vor ihm hin und lauschte gespannt. »Einen Scheißdreck werde ich«, verkündete Sven entschlossen. »Verstehen Sie, ich werde gar nichts sagen. Meinetwegen foltern Sie mich, schütten Sie mir Säure in die Augen oder prügeln Sie mich halb tot, wenn es Ihnen Spaß macht. Aber ich sage Ihnen nicht, wo die Dokumente sind. Und ich werde es jede Minute genießen, Sie deswegen schwitzen zu sehen, Sie elender Scheißkerl!«
Der überlegene Ausdruck in Hees’ Augen verschwand schlagartig. Wutentbrannt sprang er auf, wie ein trotziges Kind, das seinen Willen nicht durchsetzen konnte. Sein Atem klang wie eine Babyrassel. Er stürzte zu Mohamed, griff unter dessen Jacke und zog Svens Dienstpistole hervor. »Los, reden Sie, oder …«
»Oder was? Sie erschießen mich? Nur zu«, erwiderte Sven gelassen. Und dieses Mal waren es nicht nur Worte. Er fühlte gar nichts mehr. Sein Körper war taub, als hätte man ihm das Rückgrat gebrochen. Er hatte keine Kraft mehr, sich zu widersetzen, wollte dieses Leben endlich hinter sich lassen, weil es ihm nichts mehr bedeutete. Er war müde. Unendlich müde. »Ich habe nichts mehr zu verlieren«, sagte er. »Und ich werde ganz sicher nicht wieder vor Ihnen betteln. Nicht um ein Leben, das ohnehin zu Ende ist.«
»Sie brauchen mir nur zu sagen, was ich wissen will, und ich spritze Ihnen das Gegenmittel.«
»Für wie naiv halten Sie mich? In dieser Spritze kann sonst was sein, aber so, wie ich meine Situation einschätze, ist es sicher nichts, was mein Leben verlängern würde. Ich bin also so oder so im Arsch. Sie werden mich ja wohl kaum durch diese Tür da marschieren lassen, wenn ich Ihnen sage, was Sie wissen wollen. Also jagen Sie mir endlich eine Kugel in den Kopf, damit wir es alle hinter uns haben.«
»Sind Sie wirklich so abgebrüht, oder trauen Sie mir bloß nicht zu, dass ich abdrücke?«
Bei dieser fast schon hilflosen Frage lächelte Sven abfällig. »Wenn Sie tatsächlich den Mut dazu hätten, bräuchten Sie kein Gesindel wie den da, um die Drecksarbeit zu erledigen.« Er deutete mit dem Kopf auf Mohamed.
»Da täuschen Sie sich gewaltig, mein Lieber.« Bebend vor Zorn trat Hees einen Schritt auf ihn zu. »Dazu brauche ich niemanden.« Er spannte den Abzug.
Sven schloss die Augen.
41
D er Lagerraum war dunkel. Nur das schwache Licht der Parkplatzbeleuchtung drang durch einige der schmalen Fenster und ließ meterhohe Regale auf beiden Seiten des Ganges erkennen. Koschny schaltete die kleine Taschenlampe ein, die Jo ihm gegeben hatte.
Er stand inmitten von Kisten und Kartons, deren Konturen er in den Regalen gerade eben noch ausmachen konnte. In dem schmalen Lichtkegel der Taschenlampe konnte er einige der Aufschriften erkennen: » Handle With Care « und » Vorsicht Zerbrechlich! «. Der Schmerz hatte ein wenig nachgelassen, aber sein Fuß fühlte sich seltsam taub an, als hätten die Nervenbahnen darin sich vorübergehend vom Rest des Systems abgekoppelt. Er spürte, wie die Haut bei jedem Schritt spannte, was auf eine beträchtliche Schwellung schließen ließ. Vorsichtig bückte er sich und lockerte die Schnürsenkel seines Turnschuhs. Dabei glitt ihm die Lampe aus der Hand, und Koschny sah hilflos zu, wie sie unter eines der Regale rollte. Seufzend kniete er nieder und spähte durch den schmalen Spalt unter dem Regalboden. Seine Finger tasteten sich durch eine millimeterdicke Staubschicht. Schließlich bekam er den Griff zu fassen. Sei froh, dass du Reporter geworden bist , dachte er. Als Einbrecher würdest du bestimmt verhungern.
Er richtete sich wieder auf, als plötzlich die Spitze eines Schuhs im Lichtstrahl der Lampe auftauchte. Grasreste klebten an den Rändern der glatten, fast neuen Ledersohle. Mit zitternder Hand ließ er den dünnen Lichtstrahl weiterwandern, über in dunklen
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