Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde

Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde

Titel: Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
Vom Netzwerk:
Stoff gehüllte Beine, über das graue Hemd, das teilweise über dem Hosenbund hing, bis hin zu dem glatten, jungen Gesicht eines Mannes, der nicht viel älter als zwanzig sein mochte. Sein Mund stand offen, und die Augen waren halb geschlossen, als wäre er im Begriff, ein Nickerchen zu machen. Doch die Pupillen waren starr und reagierten nicht auf das Licht; und plötzlich begriff Koschny, dass dieser Mann nie mehr aufwachen würde. Ein weiteres sicheres Indiz dafür war das Loch oberhalb der Augen. Eine dünne Bahn aus getrocknetem Blut zog sich über seine Stirn, bis zur linken Braue. Etwas Kaltes kroch Koschnys Wirbelsäule hinauf und breitete sich in seinem Nacken aus. Vor ihm lag die Leiche des Mannes, der vor etwa drei Stunden bereit gewesen war, ihm eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Das Blatt hat sich gewendet, du Mistkerl , dachte Koschny. Er hatte in seiner Laufbahn schon die eine oder andere Leiche gesehen, doch es war ein wesentlicher Unterschied, ob dies an einem gesicherten Tatort geschah oder in einem dunklen Lagerraum, zu dem er sich unrechtmäßigen Zutritt verschafft hatte und in dem der Preis für eine solche Entdeckung sein eigenes Leben sein konnte. Es kam ihm vor, als wäre das Blut in seinen Adern schlagartig um zehn Grad abgekühlt. Er musste schnellstens hier raus, er war ja nicht einmal bewaffnet. Gesehen hatte er ohnehin genug. Was konnte beweiskräftiger sein als eine Leiche?
    »Koschny, hören Sie mich?«, flüsterte eine Stimme in seinem Ohr, und er erschrak so heftig, dass er einige Sekunden lang glaubte, sein Herz würde nie wieder den gewohnten Rhythmus finden. Einen Moment lang hatte er den Stöpsel in seinem Ohr völlig vergessen. »Die Polizei ist da«, erklärte die Stimme, während er sich bemühte, nicht ohnmächtig zu werden. »Haben Sie verstanden, Koschny? Die Bullen sind da, also beeilen Sie sich.« Koschny empfand ein Gefühl tiefer Erleichterung, gepaart mit freudiger Erregung. Die Polizei würde den Rest erledigen, jetzt hatte sie allen Grund, nach Sven zu suchen und dem Ganzen ein Ende zu machen. Er hatte seine Story. Nein, er hatte die Story, und Köster würde ihm aus der Hand fressen, um sie in voller Länge drucken zu dürfen. Und dieses Mal würde ihm niemand dazwischenfunken.
    Zitternd vor Erregung wollte er Seifert gerade von seiner Entdeckung berichten, als er plötzlich etwas Hartes im Rücken spürte.

42
     
     
     
     
     
     
     
    V or den Werkstoren sah Seifert Blaulicht unten an der Straße aufblitzen, kurz darauf bogen zwei Streifenwagen in die Einfahrt ein und hielten auf dem Randstreifen vor dem Werkszaun.
    »Das wurde aber auch Zeit«, konnte er den Wachmann sagen hören, der mit seinem Hund auf die Beamten zuging. Die Männer sprachen eine Zeitlang angeregt miteinander, wobei der Wachmann immer wieder auf die vier Aktivisten deutete. Seinen Gesten konnte Seifert entnehmen, dass er keine Lobeshymnen über sie verbreitete.
    »Koschny, haben Sie verstanden? Die Polizei ist da.« Seifert wartete vergebens auf eine Antwort. Der Stöpsel in seinem Ohr blieb stumm. Behutsam hob er den Saum seines T-Shirts an, unter dem sein Handy am Gürtel befestigt war, gleich neben dem handtellergroßen Aufnahmegerät. Das Display zeigte nach wie vor vollen Empfang. Rasch verbarg er die Geräte wieder. Wieso antwortet er nicht? , dachte Seifert, während er sah, wie zwei der Polizisten auf sie zukamen, gefolgt von dem Wachmann mit dem Hund. Was macht er da drin?
    »Guten Abend, die Herren«, sagte der ältere der beiden Polizisten in höflichem, ein wenig herablassendem Ton. »Ich weiß zwar nicht, was Sie mit dieser lächerlichen Aktion erreichen wollen, aber ich gehe wohl recht in der Annahme, dass Sie nicht gewillt sind, diesen Ort freiwillig zu räumen?«
    Keiner der vier reagierte. Christian strich sich verlegen übers Kinn, und die anderen sahen die beiden Beamten mit festem Blick an. Nur Seifert wurde immer blasser.
    »Ihnen ist sicher klar, dass das hier eine nicht genehmigte Demonstration ist«, fuhr der Beamte routiniert fort. »Können Sie sich ausweisen?«
    Wieder keine Reaktion.
    »Wir können das auch auf der Wache klären, wenn Ihnen das lieber ist. Ich möchte wetten, dass mindestens einer von Ihnen aktenkundig ist. Aber ehrlich gesagt habe ich keine große Lust, mir Ihretwegen die ganze Nacht um die Ohren zu schlagen. Also kommen Sie uns ein bisschen entgegen, dann können wir das Ganze schnell hinter uns bringen. Sonst sind wir gezwungen, Sie

Weitere Kostenlose Bücher