Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde
eine von ihnen öffnete?
Keine Zeit für Spekulationen. Er musste auf seine Intuition vertrauen. Und auf sein Glück.
Als Koschny an der zweiten Tür auf der rechten Seite vorbeikam, vernahm er seltsame Geräusche. Es hörte sich an wie Schreie – nein, mehr wie erregtes Kreischen. Er zuckte zusammen und bemerkte das kleine Schild neben der Tür: Tierhaltung.
Affen , dachte er. Das sind nur Affen, oder was immer die hier sonst im Namen der Wissenschaft abschlachten. Vermutlich hatten die Schüsse die Tiere in ihren Käfigen aufgeschreckt. Zumindest was die Angst vor Waffen anging, war der Mensch dem Affen gleich.
Rasch drehte Koschny sich um, war sich plötzlich sicher, dass jemand hinter ihm stand. Doch da war nichts außer der Schwingtür. Ganz ruhig. Du schaffst das schon. Genauso, wie du es immer irgendwie geschafft hast. Eilig ging er weiter, vorbei an der dritten Tür, der vierten … Organanalyse … Giftlager … Das hier musste wahrhaftig die Hölle sein.
Obwohl der Gang gut drei Meter breit war, schien er immer schmaler zu werden, je weiter er voranschritt. Noch einmal drehte er sich um. Wieder nichts.
Dann waren erneut Stimmen zu hören. Dieses Mal waren sie eindeutig menschlich. Zuerst dachte er, sie kämen aus der Richtung des Treppenhauses, und er suchte panisch nach Deckung, einem Versteck. Doch als er genauer hinhörte, stellte er fest, dass sie hinter der Wand auf der linken Seite des Ganges hervorkamen, nur wenige Schritte von ihm entfernt. Ein Schild wies den Raum als Versuchslabor aus. Er ging näher heran, lauschte angestrengt. Doch die Worte drangen nur sehr schwach und unverständlich durch die stählerne Tür. Eine der Stimmen jedoch gehörte eindeutig Sven.
Nun gut, er lebte. Aber was nun? Sollte er die Tür aufreißen und den Raum stürmen? Er musste die Kerle herauslocken, das war die einzige Möglichkeit. Er brauchte einen Plan. Einen halbwegs sicheren Plan. Denk nach, Mann … denk nach! Das ist das Einzige, was du gut kannst.
Sein Blick irrte suchend umher und blieb an einem Feuerlöscher hängen, der ein Stück weiter an der Wand hing. Unmittelbar darüber ragte ein roter quadratischer Kasten aus der Wand, ungefähr so groß wie sein Handteller. Koschnys Augen leuchteten auf. Noch einmal blickte er zu der Schwingtür am Ende des Ganges hinüber. Dann wandte er sich wieder dem Feuerlöscher und dem kleinen Kasten zu.
Ja, so müsste es gehen, dachte er sich. So könnte es klappen … wenn er nur schnell genug war.
45
I m ersten Moment spürte er gar nichts. Nicht einmal die Splitter, die sein Gesicht und seinen Arm trafen wie Peitschenhiebe, als die Kugel in die Wand hinter ihm einschlug. Sven war sicher, dass sie ihn verfehlt hatte. Erst als er die Wunde betrachtete und sah, wie Blut die Fasern seines zerrissenen Hemdes tränkte, überfiel ihn der Schmerz mit unbekannter Heftigkeit. Die Kugel hatte seine Schulter zwar glatt durchschlagen, doch fühlte es sich an, als hätte sie ihm den halben Arm weggerissen. Er hielt den Atem an und kniff die Augen zusammen, um den Schmerz zu bändigen.
»Sie dürfen ruhig schreien, Herr Kommissar. Hier hört Sie niemand.«
»Sie verdammter Scheißkerl«, zischte Sven und krümmte sich vor Schmerzen. Seine Schulter fühlte sich an, als hätte jemand einen Eimer glühende Kohlen darübergegossen.
»Das war nur eine Warnung«, sagte Hees. »Als Nächstes sind Ihre Kniescheiben dran. Dann arbeite ich mich an Ihren Oberschenkeln hoch bis zu Ihren Eiern. Und wie Sie mittlerweile festgestellt haben sollten, treffe ich das, worauf ich ziele.«
»Schon gut«, stöhnte Sven. »Sie haben gewonnen.« Wozu sich noch wehren?, dachte er. Sollte dieses Scheißleben doch ein Ende nehmen.
Er sagte Hees alles, was er über den Verbleib der Unterlagen wusste. Erzählte ihm auch von Hofers Plan, gegen ihn auszusagen und das Ganze auffliegen zu lassen.
»Wie heißt dieser Reporter?«
Sven antwortete nicht und starrte hartnäckig zu Boden. Ein letzter Rest von Trotz, von Ehrgefühl.
»Den Namen!«, schrie Hees und drückte die Pistole gegen Svens rechtes Knie.
»Sattler«, murmelte er resigniert. »Peter Sattler.« Er wünschte sich, dass dieser Wahnsinnige ihm endlich den Rest geben würde. Innerlich war er ohnehin schon längst tot.
Zufrieden ließ Hees die Waffe sinken. »Sehen Sie«, sagte er, »war doch gar nicht so schwer. Wir hätten uns diese Peinlichkeiten ersparen können, wenn Sie mir sofort alles gesagt
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