Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde
er langsam verrückt wurde. Oder einfach aus Freude darüber, dass die Gerechtigkeit dieses Mal vielleicht eine Chance hatte. Dass es ein Lachen der Hoffnung war, wollte er sich nicht eingestehen. Zu oft hatte Hoffnung ihn enttäuscht. Und was hatte ein Todgeweihter auch zu hoffen?
»Seien Sie still«, fauchte Hees, doch Sven lachte immer heftiger. Noch nie hatte er Lachen als befreiender empfunden als in diesem Moment.
Hees zerrte sein Handy aus der Jackentasche. Seine Finger flogen förmlich über die Tasten. Zunächst hatte er in seiner Erregung völlig vergessen, dass das Telefon ausgeschaltet war, dann schaltete er es ein und wählte erneut. Der Empfang war schlecht, dennoch wurde am anderen Ende sofort abgehoben. »Könnte mir mal jemand erklären, was hier los ist?«, schrie er den Wachmann an, bevor dieser auch nur ein Wort herausbrachte.
»Herr Hees?«, fragte Meier. »Gott sei Dank! Ich versuche schon die ganze Zeit, Sie zu erreichen. Ein paar von diesen Umweltschützern haben sich hier draußen am Zaun postiert. Mindestens einer von denen scheint es auf das Gelände geschafft zu haben. Wahrscheinlich hat er den Alarm ausgelöst.«
»Dann kümmert euch darum. Wofür zum Henker bezahle ich euch eigentlich?«
Meier räusperte sich verlegen. »Na ja, das wird nicht mehr nötig sein, Herr Hees. Die Polizei ist schon hier. Die müssten eigentlich jeden Moment bei Ihnen sein.«
Hees stockte der Atem. »Was … Was sagen Sie da?«, stammelte er fassungslos. »Die Polizei?«
»Ja. Was haben Sie denn, ist alles in Ordnung? Hallo … Herr Hees? …«
Hees ließ langsam das Telefon sinken, bis es ihm aus der Hand glitt und zu Boden fiel. Stumpf starrte er die Wand an, während Meiers Stimme weiter aus dem Handy quakte. »Herr Hees … Antworten Sie doch … Geht es Ihnen gut? …«
»Was ist denn?«, fragte Sven. »Hat es Ihnen etwa die Sprache verschlagen?«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen die Klappe halten.«
»Die Dinge entwickeln sich wohl nicht ganz so, wie Sie es geplant hatten, hab ich recht?« Nur die Schmerzen verhinderten, dass er von neuem in schallendes Gelächter ausbrach.
Wutentbrannt stampfte Hees auf ihn zu und schlug ihm ins Gesicht. »Schnauze!«, brüllte er. Sekundenlang konnte Sven den kalten Lauf der Pistole auf dem Wangenknochen spüren. Dann sah er verschwommen, wie Hees zu dem großen Waschbecken neben der Tür eilte. An der Wand darüber hing ein Erste-Hilfe-Kasten. Er riss die Klappe auf und wühlte darin herum, bis er schließlich mit einer Schere in der Hand zurückkam.
Eine Wolke aus feuchtwarmem Schweißgeruch hüllte Sven ein, als Hees vor ihm niederkniete und die Kabelbinder an seinen Füßen und seinen Händen durchschnitt. »Wie es aussieht«, keuchte Sven und zwang sich zu einem Grinsen, »komme ich doch noch in den Genuss, Sie schwitzen zu sehen.«
Hees packte ihn und zerrte ihn grob auf die Beine. »Wir beide marschieren jetzt hier raus, und wenn ich noch einen Ton von Ihnen höre, dann puste ich Ihnen mit Vergnügen das Licht aus, das schwöre ich. Haben wir uns verstanden? Und jetzt vorwärts!«
Svens Beine waren taub und schwer, und er taumelte mehr, als dass er ging. »Aufmachen«, befahl Hees und drückte Sven brutal die Pistole in den Rücken. Sven öffnete die Tür. Das Schrillen des Alarms wurde augenblicklich lauter. Bei den Tierlabors angekommen, vermischte es sich mit dem Kreischen der verängstigten Versuchstiere. Und plötzlich ging Sven auf, dass er nun selbst zum Versuchstier geworden war.
Als sie die Schwingtür erreicht hatten, zog Hees ihn fester an die Waffe heran. »Sie werden jetzt vorsichtig da durchgehen. Und keine hastigen Bewegungen, sonst blase ich Ihnen die Wirbelsäule weg.«
Behutsam drückte Sven gegen einen der Türflügel, bis er langsam aufschwang. Hees folgte ihm wie ein Schatten. Seine Blicke huschten unruhig durch das Treppenhaus. Doch es war niemand da, der sich ihnen in den Weg stellte. Keine Polizistenstimme schrie, er solle die Waffe fallen lassen. Nur sein keuchender Atem war zu hören. Und dieser verdammte Alarm. Aber jemand musste hier gewesen sein. Und dieser Jemand lauerte noch immer irgendwo und wartete, spielte mit ihm.
Hees schielte zur Fahrstuhltür hinüber, drängte Sven jedoch weiter auf die Treppe zu. Sven spürte die kalte Mündung der Pistole im Genick, als sie die Stufen erreichten. Hees spähte über seine Schulter nach oben, hielt ihn wie einen Schutzschild vor sich, während sie langsam
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