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Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde

Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde

Titel: Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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feuert. Und um ganz sicherzugehen, dass sein Gehirn auch an der Wand landet, hat er Hohlspitzgeschosse genommen. Ebenso gut hätte er sich eine Granate ins Maul stopfen können. Hier«, er reichte Sven einen Briefbogen in einer Klarsichthülle. »Den haben wir in Krämers Arbeitszimmer gefunden.«
    Sven nahm das Papier und las den kurzen Text:
    An alle, die es angeht,
    ich habe mein Leben lang versucht, Krankheiten zu heilen. Zumindest habe ich mir das eingeredet. Aber Schuld ist eine Krankheit, die unheilbar ist. Daher habe ich beschlossen, meine Qualen zu beenden. Möge Gott mir vergeben.
    Langsam glitt Svens Blick von dem Brief in seiner Hand zu den beiden Leichen. Wieder holten ihn die Bilder ein, blitzten wie Scheinwerfer vor seinen Augen auf, blendeten ihn, so dass er gezwungen war, die Lider zu schließen. Graue, milchige Augen; fauliges, abgenagtes Fleisch, das faserig von den blanken Knochen hing … Und dieser entsetzliche Gestank, der so schlagartig aus seinem Unterbewusstsein emporstieg, dass sich sein Magen schmerzhaft verkrampfte. Wie gewöhnlich wollte er diese Eindrücke verdrängen, sie in den dunkelsten Winkel seiner Erinnerung verbannen. Doch diesmal war etwas anders. Ihm war, als legten sich kalte Ketten um seinen Brustkorb und hinderten ihn am Atmen. Sein Puls schoss so jäh in die Höhe, dass ihm schwarz vor Augen wurde.
    Schuld ist eine Krankheit, die unheilbar ist , hallte es durch seinen Kopf. Er krümmte sich, taumelte einige Schritte zurück und wäre sicher gestürzt, hätte Dennis ihn nicht festgehalten.
    »Sven, alles in Ordnung?«, fragte er besorgt.
    Sven reagierte nicht. Er spürte nur diesen immensen Druck in seiner Brust, der stetig zunahm. Ein Infarkt , schoss es ihm durch den Kopf. Ich habe einen Herzinfarkt! Er spürte, wie die Dunkelheit ihn einhüllte, rechnete fest damit, dass sie ihn verschlingen würde, dass dies sein letzter klarer Gedanke war. Doch dann ließ der Druck in seiner Brust nach.
    »Soll ich einen Arzt rufen?«, fragte Dennis.
    Sven winkte ab. »Nein, nicht nötig«, keuchte er, noch immer völlig außer Atem. Alles Blut schien aus seinem Gesicht gewichen zu sein.
    »Rede jetzt keinen Blödsinn, du bist fast zusammengeklappt.«
    »Ich habe in letzter Zeit einfach zu wenig geschlafen«, meinte Sven. »Ist bestimmt nur der Kreislauf. Es geht schon wieder.« Er richtete sich langsam auf und betrachtete erneut Krämers Abschiedsbotschaft, die er noch immer in der Hand hielt. »Sieht aus, als hätte unser Doktor wegen irgendetwas ein schlechtes Gewissen gehabt.« Er stützte sich an einem der Bettpfosten ab.
    Besorgt musterte Dennis seinen Kollegen. Schließlich entspannte auch er sich. »Ja«, meinte er, »aber viel interessanter ist die Frage, warum Selbstmörder sich in ihren Abschiedsbriefen immer so vage ausdrücken. Ich meine, wovor haben die Angst, dass jemand sie verklagen könnte?«
    »Wie seid ihr ins Haus gekommen?«, wollte Sven wissen. Noch immer war ihm, als stünde er unter Strom.
    »Als ich an der Haustür geklingelt habe und niemand aufgemacht hat, kam die Nachbarin völlig aufgelöst an und erzählte, sie sei letzte Nacht durch lautes Knallen geweckt worden und würde sich allmählich Sorgen machen, weil am ganzen Haus die Rollläden noch unten wären. Sie hat gesagt, sie hätte einen Zweitschlüssel, für den Fall, dass die Krämers sich mal ausgesperrt hätten. Also bin ich rein und hab das hier vorgefunden.« Wieder nahm sein Gesicht einen besorgten Ausdruck an, als Sven heftig zu husten begann. »Ist wirklich wieder alles in Ordnung?«
    »Ja, ja«, brummte Sven grimmig.
    »Wir sind hier fertig«, verkündete Daum, der am Fußende des Bettes stand und letzte Proben in seinem Koffer verstaute. »Der Arzt müsste jeden Moment eintreffen, um den Tod offiziell zu bestätigen. Danach könnt ihr die Leichen abholen lassen.« Er sah Sven prüfend an. »Vielleicht solltest du dich doch mal untersuchen lassen. Nur um sicherzugehen.«
    »Was ist mit der Gerichtsmedizin?«, lenkte Sven ab.
    Daum zuckte lediglich die Achseln. »Die haben momentan reichlich zu tun. Wegen ein paar Lebensmüden kann man die nicht mehr aus ihrer Gruft locken.«
    »Habt ihr sonst irgendwas gefunden?«
    »Keinerlei Anzeichen für Einbruch oder Fremdeinwirkung«, erwiderte Daum sachlich. »Schmauchspuren an Krämers Fingern. Außerdem Blutspritzer an der Hand und am Handgelenk. Die klassische Selbstmordkiste, wenn ihr mich fragt.«
    Sven deutete auf den Revolver am Boden. »Woher

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