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Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde

Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde

Titel: Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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Zwei Monate saß er in Untersuchungshaft, mit intensiver psychologischer Betreuung.«
    »Was ist passiert?«, fragte King.
    »Zuerst nichts, alle waren zufrieden. Die Staatsanwaltschaft, die Anwohner, sogar die Presse hat unseren schnellen Erfolg gelobt – bis auf einen.«
    »Koschny.«
    Dennis nickte. »Ständig sind Begriffe wie Sündenbock und Polizeistaat in der Zeitung aufgetaucht, für die er damals gearbeitet hat. Irgendwie muss er dahintergekommen sein, dass es bei Heibels Verhaftung nicht ganz rechtmäßig zugegangen war. Daraufhin hat uns dieses Drecksblatt sogar einen Anwalt auf den Hals gehetzt. Und der hat es dann auch tatsächlich geschafft, unsere Anklage wie einen schlechten Witz aussehen zu lassen. Schließlich wurde der Druck auf den Staatsanwalt so groß, dass wir Heibel freilassen mussten.«
    »Nicht zu fassen.« King war schockiert. »Hat denn niemand daran gedacht, dass der Kerl noch mehr Kinder töten könnte?«
    »Den Medien ging es nie um Recht oder Unrecht«, sagte Dennis. »Nur darum, sich zu profilieren. Und dazu hatten sie nach Heibels Entlassung leider auch genug Gelegenheit. Denn unmittelbar danach hat er sich in seiner Scheune erhängt. Sein Bruder war damals gerade auf einer Landwirtschaftsmesse in Hannover. Er hat ihn erst nach drei Tagen gefunden.«
    King nickte. »Wie ging es weiter?«
    »Es gab keinen Abschiedsbrief, also auch kein Schuldgeständnis. Und plötzlich waren wir keine Helden mehr. Die Zeitungen haben uns in der Luft zerrissen. Man hat uns beschuldigt, für den Tod des Mannes verantwortlich zu sein. Von den toten Mädchen hat niemand mehr geredet. Das Ganze ging sogar so weit, dass eine Untersuchung gegen Sven eingeleitet wurde. Er hatte verdammtes Glück, dass es glimpflich für ihn ausgegangen ist.«
    »Also war Heibel schuldig?«
    Dennis zögerte kurz. »Das konnte nie einwandfrei bewiesen werden«, sagte er und ging hinaus.
    Sven saß ein paar Meter unterhalb der Straße auf einer Parkbank neben der alten Kirche und betrachtete die Hügel, die sich bis zum Horizont dehnten.
    Dennis setzte sich neben ihn. »Alles wieder in Ordnung?«
    Sanfter Wind wehte in ihre Gesichter und trug den Geruch von Weiden und Kühen zu ihnen herüber.
    »Hast du auch manchmal das Gefühl, dass sich alles wiederholt?« Svens Stimme klang wie die eines Boxers, der in der zehnten Runde zu Boden geht. »Denkst du, ich habe damals alles richtig gemacht? Ich meine: War Heibel wirklich der, für den wir ihn gehalten haben? Ich versichere dir, ich habe mindestens tausendmal versucht, mir einzureden, dass es so wäre, habe mir das Für und Wider so lange vorgehalten, bis ich es schließlich verdrängt und zu den Akten gelegt habe. Es hat mich einfach nicht mehr interessiert, weil das der einfachste Weg war, das Ganze zu vergessen. Manchmal denke ich, ich bin nicht viel besser als der Abschaum, den ich bekämpfe.«
    Es dauerte fast eine Minute, bis Dennis schließlich wieder das Wort ergriff. »Ich hab dich selten so unbeherrscht erlebt«, bemerkte er. »Und dein Zusammenbruch vorhin …«
    »Ich sage doch, das war nichts weiter.« Nur eine Panikattacke , meldete sich seine innere Stimme zu Wort. Du hattest eine verdammte Panikattacke, mein Gott!
    »Ich meine ja auch nur, wenn du über irgendetwas reden willst …«
    Sven blickte erneut zu Boden und seufzte. »Ich weiß es ja auch nicht«, meinte er resigniert. »Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich kurz vorm Durchdrehen bin.« Wieder ein Seufzer. Diesmal klang er, als wäre er kurz davor, in Tränen auszubrechen. »Es ist nicht nur dieser Fall oder die Geschichte mit Heibel, es ist dieser ganze beschissene Job, die Menschen … Ich meine, für wen zum Teufel machen wir das alles eigentlich? Für diese ganzen Idioten da draußen, für die wir dann doch nur die Prügelknaben sind? Denkst du, dadurch ändert sich auch nur das Geringste? Ich hätte wirklich große Lust, alles hinzuschmeißen. Einfach neu anzufangen, ohne diesen ganzen Dreck, verstehst du?«
    Dennis nickte. »Was hältst du davon, wenn wir eine Kleinigkeit essen gehen?«, fragte er. »Dabei kann man sich prima unterhalten.«

17
     
     
     
     
     
     
     
    D as nächste Bistro war nur zwei Autominuten entfernt und wirkte von innen so nüchtern wie der Frühstücksraum einer billigen Pension. Die wenigen, mit roten Papierdeckchen belegten Tische waren nur spärlich besetzt. Lediglich ein alter Mann, der über seiner Zeitung brütete, und ein wild knutschendes Punker-Pärchen

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