Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde
saßen in dem Raum. Die stickige Luft roch nach Fastfood und kaltem Rauch.
»Das verstehst du also unter essen gehen «, sagte Sven und schielte vorwurfsvoll zu Dennis hinüber.
Sie setzten sich in eine Ecknische in der Nähe des Eingangs. Eine junge Frau mit milchkaffeebraunem Teint trat an ihren Tisch und pustete sich die schwarzen Fransen aus der Stirn. »Hallo, was darf’s denn sein?«, fragte sie freundlich und lächelte Sven mit makellos weißen Zähnen an.
»Zwei Wiener mit Senf, Pommes und ’ne Cola«, bestellte Dennis.
»Ich nehme dasselbe«, schloss sich Sven ihm an.
Die junge Frau bedankte sich, und ihre Katzenaugen musterten Sven ausgiebig, so dass er sich verlegen abwandte. »Kommt sofort«, sagte sie und eilte in die Küche.
»Süß, nicht wahr?«, sagte Dennis, dem der unbeholfene Flirt nicht entgangen war. »Ich würde sagen, die steht auf dich.«
»Lass stecken, ja? Ich habe erst mal genug von Beziehungen.«
»Wie du meinst«, seufzte Dennis. »Sandra hat dich also endgültig abblitzen lassen?«
»Das trifft es in etwa – vorsichtig ausgedrückt.« Svens Hände spielten unruhig mit einem Bierdeckel. »Wahrscheinlich liegt sie jetzt gerade mit ihrem neuen Kerl in ihrem neuen Bett und feiert ihren Unabhängigkeitstag.«
»Sie hat einen anderen?«
»Nein … Ich weiß es nicht.« Verzweifelt fuhr er sich durch die Haare. »Die Wahrheit ist wohl, ich habe komplett den Überblick verloren. Das ist mir alles irgendwie eine Nummer zu kompliziert, verstehst du? Dabei dachte ich immer, wir hätten eine gute Beziehung und ich hätte mein Leben unter Kontrolle.«
Ein Trugschluss, für den Sven nun bitter bezahlte. Liebe ließ sich nicht kontrollieren. Dafür war sie zu selten.
»Glaub mir«, seufzte Dennis, »ich weiß, was du durchmachst.«
»Du?«, fragte Sven erstaunt.
»Denkst du etwa, du bist der Erste, dem eine Beziehung in die Brüche geht?«
»Na, da bin ich aber gespannt.« Erwartungsvoll sah Sven seinen Freund an.
Dennis zögerte eine Weile. »Da gibt’s nicht viel zu erzählen«, meinte er niedergeschlagen. »Irgendwann musste ich einfach feststellen, dass Göttinnen nicht monogam sind. Hat mich ziemlich umgehauen.« Er seufzte resigniert. »Und der einzige Grund, warum ich seitdem mit so vielen Frauen geschlafen habe, ist, dass ich hoffe, endlich wieder neben jemandem aufzuwachen, bei dem ich gerne noch liegen bleiben möchte. Aber das ist nicht so einfach, wenn man ständig vergleicht.«
Nachdenklich betrachtete Sven seinen Kollegen. Nichts schien die Menschen gleicher zu machen als seelischer Schmerz.
Die Kellnerin kam und brachte das bestellte Essen. Wieder schenkte sie Sven ein kokettes Lächeln, und wieder tat er sein Bestes, es zu ignorieren.
Eine Weile lang aßen sie schweigend. Sven blickte verstohlen zu dem Punker-Pärchen hinüber, die offensichtlich vorhatten, gegenseitig ihre Zungen zu verschlucken.
»Hast du nie versucht, sie zurückzukriegen?«, fragte er nach einiger Zeit.
Dennis sah von seinem Teller auf. »Doch … natürlich«, meinte er. »Und eine Zeitlang hat es sogar funktioniert. Aber letztendlich ist es auf dasselbe hinausgelaufen. Wenn zwei Menschen nicht zusammenpassen, dann ist das eben so. Man muss lernen, das zu akzeptieren, oder man geht daran zugrunde. Ist wohl so was wie Schicksal.«
Sven stöhnte. »Schicksal ist nichts weiter als eine Erfindung der Menschen, um ihren Drang zu befriedigen, für alles einen Schuldigen zu finden.«
»Ich weiß nicht recht«, wandte Dennis kauend ein. »Hast du noch nie das Gefühl gehabt, dass du regelrecht in eine bestimmte Richtung gedrängt wirst und plötzlich alles, was vorher geschehen ist, einen Sinn ergibt?«
Sven überlegte kurz: »Ich nehme an, so hab ich mich bei meiner Geburt gefühlt.«
»Nein, ernsthaft. Ich denke schon, dass da irgendetwas ist, das uns lenkt. Vielleicht irgendeine Kraft oder ein Gen, das in uns lauert und uns antreibt.«
Sven zog argwöhnisch die Augenbrauen hoch.
»Was macht eigentlich der Kleine von deiner Schwester?«, wechselte Dennis das Thema. »Wie alt ist er jetzt?«
»Torsten? Anderthalb. Und fängt gerade an, jedes Wort nachzusprechen – jedenfalls versucht er es.« Svens Miene erhellte sich. »Hätte ja nie gedacht, dass ich mal auf so einen kleinen Schreihals abfahren würde, aber ich muss zugeben, er ist unwiderstehlich. Du solltest mal dabei sein, wenn er gebadet wird. So was Süßes hab ich noch nie gesehen.« Jäh verdüsterte sich seine Miene, als er
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