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Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde

Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde

Titel: Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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Unterkante der Eingangstür … schon war das größte Elektrofeuerzeug der Welt fertiggestellt. Das Gas hatte sich schnell im ganzen Haus verteilt. Er musste nur den Abstand zwischen Kabel und Schiene so groß halten, dass er noch gefahrlos das Haus verlassen konnte. Ein Unwissender jedoch, der die Tür weiter als eine Körperbreite öffnete, würde mit der Schiene die blanken Enden des Kabels berühren. Ein kurzes Surren, eine kleine elektrische Entladung, winzige Fünkchen, durch rasende Elektronen verursacht, und … BUMM !!
    Der Umstand, dass sein Opfer Raucher gewesen war, verlieh der Geschichte einen gehörigen Schuss Ironie.
    Allmählich entwickelte sich das Ganze mehr und mehr zu einer profitablen Angelegenheit für ihn. Zuerst der Pfleger und jetzt der neugierige Bulle. Und Mohamed war sich fast sicher, dass der nicht der Letzte gewesen war. Er ging davon aus, dass Hofer der Nächste auf der Liste sein würde. Der Heimleiter war zu einem Risiko geworden, so viel hatte Mohamed mitbekommen. Und jetzt, wo hier alles erledigt war, konnte er sich neuen Aufgaben stellen. Er hatte zwar keinen blassen Schimmer, worum es bei der ganzen Geschichte eigentlich ging, doch das interessierte ihn auch nicht. Alles, was von Bedeutung war, war die Höhe des Honorars. Und in dieser Hinsicht hatte er sich in ein goldenes Nest gesetzt.
    Mit einem zufriedenen Grinsen drehte er sich um und schritt davon.

19
     
     
     
     
     
     
     
    T rauer … Das war alles, was er empfand. Grenzenlose, tiefe Trauer, die alle anderen Gefühle ausschaltete und sich endlos durch die folgenden Tage zog. Tage, die ihm wie zäher Sirup vorkamen, durch den er sich mühsam hindurcharbeiten musste.
    Am liebsten hätte er sich in seine Arbeit gestürzt, sich mit scheinbar belanglosen Dingen beschäftigt, nur um etwas zu tun, um zu vergessen. Doch er konnte nicht, nicht dieses Mal; er konnte nicht einfach alles weiterlaufen lassen, als wäre nichts geschehen. Er wollte um Dennis trauern. Das war er ihm einfach schuldig.
    Hin und wieder riefen Kollegen an, erkundigten sich nach ihm und gaben Beileidsbekundungen ab, als wäre Dennis sein Bruder gewesen. Auch Rößner hatte sich einige Male bei ihm gemeldet. Er schien tatsächlich besorgt zu sein.
    Sogar Sandra klingelte an seiner Tür, nachdem sie von dem Unglück erfahren hatte. Und obwohl sie Dennis kaum gekannt hatte, schien ihr sein Tod nahezugehen. Sie sprach von Erlösung und Barmherzigkeit, von Königreichen und Wiederauferstehung durch den Sohn Jesus Christus. Anschließend ließ sie ihm eine Broschüre mit Schriften aus dem Neuen Testament da, die ihn trösten sollten.
    Sven starrte sie nur an. Er verstand kein Wort von dem, was sie sagte, suchte vergeblich nach der Frau, die er geheiratet hatte. Wochenlang hatte er um ihr Mitgefühl gekämpft, doch nun wollte er es nicht mehr. Und als sie am Ende ihres Besuchs die letzten Überbleibsel ihres früheren Lebens mitnahm, war es ihm beinahe gleichgültig.
    Auf einmal hatte nichts mehr Sinn, hatte nichts mehr irgendeinen Wert. Beständigkeit existierte nicht mehr, war nur eine Illusion gewesen. Allmählich begriff Sven, weshalb sich so viele Menschen in ihren Glauben flüchteten. Vielleicht war es leichter, wenn der Glaube an etwas Gutes, an etwas Vollkommenes, einem zur Seite stand. Doch Sven war zu solchen Gedanken nicht fähig, weil er sie für eine Lüge hielt. Eine Lüge, von Menschen erschaffen, um der Realität einen Sinn zuordnen zu können. Sandra und Dennis waren in den letzten Jahren die Stützpfeiler seines Daseins gewesen, und nun saß er in diesem tiefen Tal der Depressionen fest, und alles drohte über ihm einzustürzen.
    Warum nur setzte er sich immer wieder so exzessiv mit Dingen wie Einsamkeit und Tod auseinander? Weshalb konnte er sie nicht einfach als gegeben hinnehmen, statt sie mit dem Verstand erklären zu wollen? Dreiunddreißig Jahre eines Lebens, mit all seinen Ängsten, seinen Erfahrungen, seinen Leiden und Träumen, waren innerhalb einer Millisekunde in einem gleißenden Lichtblitz verglüht. Einfach ausradiert, als hätten sie nie existiert.
    Wie konnte auch nur ein Mensch auf dieser Welt behaupten, dies erklären zu können?
    Am schlimmsten waren die Nächte. In den wenigen Stunden, in denen seine rastlosen Gedanken ihm ein wenig Schlaf gönnten, kamen die Träume. Träume von toten Augen, von Feuer und von Blitzen. Und mit ihnen kam die Angst. Dieses unsagbar heftige Gefühl, das ihn von innen heraus zu erdrücken

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