Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde
kaum gerecht wurden. Schweigend betrachtete er die zahlreichen Trauergäste. Alle waren gekommen: Cerwinski, King, Daum und seine Leute. Sogar Rathke machte ein betroffenes Gesicht. Einige Kollegen von der Streife standen um den aufgebahrten Eichensarg herum, und zum ersten Mal strahlten ihre Uniformen für Sven so etwas wie Würde und Stolz aus.
Nachdem der Pfarrer endlich fertig war, war Rößner an der Reihe. Er hielt eine kurze Ansprache und beklagte »den bitteren Verlust eines strebsamen und kompetenten Kollegen«.
Dennis hätte sicher seine helle Freude an diesem Schmierentheater gehabt. Aber immerhin lag in Rößners Worten nicht die gezwungene Scheinheiligkeit der Kirche, und gelegentlich blitzte auch ein Funken Glaubwürdigkeit darin auf.
Dann wurde der Sarg langsam in das Grab hinuntergelassen. »Dennis Bergmann« stand auf dem schlichten Holzkreuz, dem bald ein Gedenkstein folgen würde. Darunter seine Lebensdaten. »Asche zu Asche, Staub zu Staub …« Wenn es wirklich so etwas wie Schicksal gab, dann besaß es einen äußerst makabren Sinn für Humor.
Nachdem die Feierlichkeiten endlich überstanden waren und jeder sein Beileid bekundet hatte, gingen sie den schmalen Kiesweg entlang, vorbei an kunstvoll geschlagenen Grabsteinen, von denen jeder einzelne eine tragische Geschichte zu erzählen wusste. Sorgfältig und liebevoll hergerichtet, als Gedenkstätten des Vergänglichen. Der Name war alles, was von einem übrig blieb. An keinem anderen Ort wurde das deutlicher.
Hohe Lebensbäume säumten den Weg und führten zu dem kleinen Eingangstor, vor dem sich etwa ein halbes Dutzend Reporter eingefunden hatten, die aus gebührender Entfernung Fotos machten. Einer von ihnen trat der Trauergemeinde entgegen. Sven erkannte ihn sofort. Ohne auf den Mann zu achten, ging er zügig weiter den asphaltierten Weg hinunter und folgte rasch den anderen, die bereits den kleinen Parkplatz erreicht hatten.
»Kommissar Becker!«, ertönte Walter Koschnys Stimme hinter ihm.
Sven hörte sie nicht, wollte sie nicht hören. Seine Schritte wurden schneller.
»Becker, warten Sie doch! Ich muss mit Ihnen reden!«
»Gehen Sie zu den anderen Aasgeiern, wo Sie hingehören«, brummte Sven grimmig, ohne sein Tempo zu verlangsamen.
»Ich wollte Ihnen nur sagen, das mit Ihrem Kollegen tut mir wirklich leid.«
»Komisch«, gab Sven zurück, »plötzlich scheint jedem irgendetwas leidzutun.«
»Bleiben Sie doch stehen«, flehte Koschny. »Ich will mit Ihnen reden, nur ein paar Minuten.«
»Sie nutzen wirklich jede Gelegenheit, was? Wie Sie vielleicht sehen, komme ich gerade von einer Beerdigung. Ist Ihnen denn nichts heilig, Koschny?«
»Sie lassen mir ja keine andere Wahl! In Ihrem Büro sind Sie seit Tagen nicht zu erreichen, und in Ihrer Wohnung meldet sich nur der Anrufbeantworter.«
»Ist Ihnen mal der Gedanke gekommen, dass ich nicht mit Ihnen reden will?«, fauchte Sven. »Also lassen Sie mich endlich in Ruhe.«
Da Sven keine Anstalten machte, stehen zu bleiben, packte Koschny ihn am Arm und hielt ihn fest.
»Hören Sie«, drängte er, »finden Sie nicht, es wäre an der Zeit, unsere kleine Fehde zu vergessen und uns wie Erwachsene zu benehmen? Ich verlange ja nicht, dass Sie mein Blutsbruder werden, aber ein bisschen mehr Kooperation wäre in diesem Fall wohl angebracht. Es gibt da eine Menge Ungereimtheiten, und ich denke, wir könnten uns gegenseitig helfen, sie aus der Welt zu schaffen. Also, reden wir, oder spielen wir weiter Spielchen?«
Sven betrachtete ihn einen Moment lang. Dann glitt sein Blick zu den übrigen Reportern hinüber. »Was wollt ihr eigentlich alle hier?«, fauchte er. »Gibt es außer dem Tod nichts anderes, was ihr ausschlachten könnt?«
»Es gibt Gerüchte.«
»Wieso überrascht mich das nicht?«
»Vielleicht weil Sie für diese Gerüchte verantwortlich sind«, erwiderte Koschny. »Sie sollen ein paar Äußerungen gemacht haben, die sich nicht mit den Untersuchungsergebnissen decken.«
»Ach ja? Na, Sie kennen ja die offizielle Erklärung. Man geht davon aus, dass es ein Unfall war …«
»Und Sie? Was denken Sie?«
»Warum sollte ich ausgerechnet Ihnen sagen, was ich denke? Soll ich etwa wieder mal der Braten auf Ihrer Schlachtplatte werden? Dafür müssen Sie sich dieses Mal einen anderen Idioten suchen. Und jetzt lassen Sie mich los.«
Koschny fasste fester zu. »Ich glaube genau wie Sie, dass die Todesfälle der letzten Tage keine Zufälle waren, und ich habe vor, einen
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