Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde
hinkommen? Also steigen Sie gefälligst ein, ich bringe Sie nach Hause.«
Sven zeigte ihm den rechten Mittelfinger und taumelte die Straße hinunter.
»Warum nur tue ich mir das eigentlich an?«, fragte Koschny in die Dunkelheit.
Weil er dir leidtut , meldete sich eine innere Stimme. Und weil er Informationen hat, die du brauchst , schaltete sich eine weitere ein, die zweifellos dem Reporter in ihm gehörte. Diese Stimme war es auch, die ihn dazu bewog, Sven zu folgen. »Seien Sie doch vernünftig«, redete er auf ihn ein und packte ihn entschlossen am Kragen seines Jacketts.
Reflexartig schnellte Sven herum, und seine Faust traf Koschnys Kinn, der daraufhin überrascht und benommen einige Schritte zurücktaumelte. Es gelang ihm gerade noch, das Gleichgewicht zu halten. Sven dagegen wurde vom Schwung seines eigenen Schlages buchstäblich von den Füßen gerissen und landete hart auf dem rechten Ellenbogen, in dem eine Welle des Schmerzes explodierte.
»Das ist ja wohl das Letzte!«, brüllte Koschny, nachdem er sich ein wenig erholt hatte. »Gott, das glaub ich einfach nicht!« Er beugte sich über Sven und schrie ihm seine Wut ins Gesicht. »Sie sind ja krank, Mann, vollkommen irre! Ich sollte Sie hier liegen lassen, Sie verfluchter …!« Schmerzen pulsierten in seinem tauben Unterkiefer, der sich seltsam verschoben anfühlte, als befände er sich nicht an seinem gewohnten Platz.
»Das war für die Untersuchung, die Sie mir vor zwei Jahren eingebrockt haben«, stöhnte Sven und hielt sich den schmerzenden Arm.
»Herrgott noch mal!«, schrie Koschny wütend und marschierte aufgebracht mitten auf der Straße auf und ab. »Wie kann man nur so verbohrt sein! Warum zum Teufel leben Sie eigentlich ständig in dem Glauben, die ganze Welt würde sich nur um Sie drehen, Becker? Tun Sie Ihrer Umwelt und sich selbst einen Gefallen und hören Sie endlich auf, alles so persönlich zu nehmen. Es gibt außer Ihnen auch noch andere Menschen, die das, was sie tun, aus Überzeugung tun. Aber gut, wenn Sie es unbedingt so haben wollen: Dann sind wir jetzt also endlich quitt!« Er packte Sven am Arm, schleifte ihn zum Auto und verfrachtete ihn grob auf den Beifahrersitz. Wütend knallte er die Tür zu. »Was mache ich hier?«, fluchte er leise, während er sich das schmerzende Kinn rieb und den Motor anließ. »Ich muss verdammt noch mal den Verstand verloren haben.«
Er fuhr aus dem Ort heraus und bog auf die Umgehungsstraße ein. Nach mehreren hundert Metern näherte er sich langsam einer Ampel, die daraufhin sofort auf Grün umsprang und die in die Dunkelheit abfallende Landstraße freigab.
Svens trüber Blick betrachtete derweil die vielen bunten Lichter auf dem dunklen Armaturenbrett, die verschwommen vor ihm aufflackerten. »Wo bin ich, in einem verdammten Raumschiff?« Wahllos tastete er auf der Mittelkonsole herum. »Hey, Scotty, beam me up«, quiekte er in die Lüftungsschlitze.
»Lassen Sie das!«, brummte Koschny gereizt und stieß ihn in seinen Sitz zurück. »Können Sie sich nicht einmal wie ein vernünftiger Mensch benehmen?«
»Nein«, erwiderte Sven heiser. »Ich hasse die Menschen, wussten Sie das nicht? Und am meisten hasse ich Sie , Koschny.« Der Versuch zu grinsen endete in einer Grimasse. Ein ständiges Schlucken machte ihm zu schaffen. »Mist«, hauchte Sven kaum hörbar.
»Was ist denn jetzt schon wieder?«
»Ich … ich glaub, ich muss kotzen.«
»Nein, das müssen Sie nicht!«, kreischte Koschny aufgebracht. »Auf gar keinen Fall müssen Sie das, verstanden?« Nervös registrierte er die zwei hellen Punkte in seinem Rückspiegel. »Hinter mir ist ein Auto, und ich kann hier nirgends halten. Also reißen Sie sich gefälligst zusammen, klar?«
»Sie können mich mal.«
»Na schön!«, gab Koschny verzweifelt auf und drückte auf einen der Schalter auf der Armlehne. »Tun Sie, was nötig ist!«
Der warme Duft von Blättern und Gras durchflutete das Wageninnere, als das Fenster auf Svens Seite in der Beifahrertür verschwand. Doch alle Frischluft der Welt half jetzt nichts mehr.
Sven beugte sich nach vorn und übergab sich in den Fußraum.
»Was machen Sie denn da?«, kreischte Koschny entsetzt.
»Das, was nötig ist«, keuchte Sven und übergab sich erneut.
Angewidert öffnete Koschny auch sein Fenster. »Sie sind wirklich mit Leib und Seele Polizist, was?«, stöhnte er. »Hinterlassen überall Ihre Marke!« Wütend schlug er mit der flachen Hand aufs Lenkrad.
Sven ließ sich erschöpft
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