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Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde

Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde

Titel: Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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entschuldigen. Nein, er würde von einer Beschwerde absehen, dazu wäre er viel zu erleichtert.
    Sein rechter Fuß hatte sich mittlerweile dem Takt seiner Finger angeschlossen und wippte auf und ab wie der eines Schlagzeugers.
    Dann wurde endlich die Tür geöffnet, und zwei Männer traten vor ihn an den Tisch. Der eine trug Jeans und Turnschuhe, der andere war etwas kleiner und strenger gekleidet. In dem grauen Hemd und der blauen Krawatte wirkte er auf Milenz wie ein Vertreter in Sachen Freiheitsberaubung.
    Keiner der beiden schien sich bei ihm entschuldigen zu wollen.
    »Hallo«, sagte der Jeansträger. »Ich bin Kommissar Becker, und das ist Kriminaldirektor Rößner, der Leiter dieser Abteilung.«
    Kriminaldirektor , hallte es unheilvoll durch Milenz’ Kopf.
    »Bevor wir weitersprechen, muss ich Sie darauf hinweisen, dass dieser Raum an ein Mikrofon gekoppelt ist. Alles, was wir sagen, wird aufgezeichnet.«
    »Möchten Sie, dass ein Anwalt bei dem Verhör anwesend ist?«, fragte Rößner.
    Milenz dachte einen Moment darüber nach. »Nein, ich brauche keinen Anwalt. Ich wüsste nicht, wofür.« Gut so. Du musst überzeugend klingen.
    »Sie leugnen also den Besitz des Kokains?«
    »Und ob, Mann!« Seine Stimme fühlte sich bleiern an; es fiel ihm schwer, die gewohnte Gelassenheit hineinzulegen. »Ich rauch vielleicht ab und zu ’nen kleinen Joint oder zieh mir ’n Pfeifchen rein, aber ich bin kein verdammter Drogendealer! Ich weiß nicht, woher das Zeug stammt oder wie es in meine Wohnung gekommen ist. Aber ich weiß, dass die Tasche noch nicht da war, als ich heute Morgen weggegangen bin.«
    »Wo wollten Sie denn schon so früh hin?«, fragte Rößner.
    »Ich wollte mir eine Maschine ansehen, an der ich interessiert bin.«
    »So, Sie planen also größere Anschaffungen?«
    »Ja«, lächelte Milenz gezwungen, »ich bin schon lange …« Seine Züge erstarrten, als er die versteckte Andeutung begriff. Plötzlich wurde ihm der Ernst seiner Lage bewusst. Jede unbedachte Äußerung, jede für belanglos gehaltene Bemerkung konnte auf einmal zur Bedrohung werden. Seine Augen zuckten nervös hin und her, suchten nach einem Hinweis, einem Ausweg aus dieser Situation. »Sie haben’s echt drauf, einem die Worte zu verdrehen. Wer Schuld sucht, der findet auch welche, stimmt’s?«
    »Na ja«, entgegnete Rößner, »in Ihrem Fall mussten wir nicht lange suchen.« Seine Eindringlichkeit war beinah herzlos. »Woher haben Sie die Waffe?«
    »Hey, ich sag doch, ich weiß nicht, wo das ganze Zeug herkommt. Da will mir jemand was anhängen, Mann.«
    »Und wer könnte das Ihrer Meinung nach sein?«
    »Keinen Schimmer.«
    »Ach, kommen Sie.«
    »Hey, ich bin überzeugter Pazifist«, verwahrte sich Milenz. »Was sollte jemand wie ich also mit ’ner Knarre?«
    »Ich habe schon Unerklärlicheres erlebt«, bemerkte Rößner. »Die Drogen haben einen geschätzten Marktwert von rund hunderttausend Euro. Ich denke, eine solche Summe reicht aus, um seine Überzeugung vorübergehend zu vergessen.«
    Milenz’ Augen lagen eng beieinander und hatten die Farbe von verwaschenen Smaragden. Die Nervosität darin war steigender Wut gewichen. Er beugte sich vor, und das Leder seiner Motorradhose knirschte wie schwere Schritte in tiefem Pulverschnee. »So gut es auch in Ihr Konzept passen würde«, fauchte er, »aber ich beurteile den Sinn meines Lebens nicht nach meinem Bankkonto. Das überlasse ich denen da draußen, die Tag für Tag in einem Job schuften müssen, der sie eigentlich ankotzt, und die ihren Frust darüber mit dem Geld aufwiegen, das sie damit verdienen. Ich kann solche Leute nur bedauern. Und ich habe ganz sicher nicht vor, einer davon zu werden.«
    »Ja, natürlich«, lächelte Rößner, »Sie ziehen es stattdessen vor, in Bescheidenheit zu leben, alten Menschen den Arsch abzuwischen und sich Ihre Träume mühsam zusammenzusparen. Kommen Sie, Milenz, da muss es doch noch mehr geben. Träume, die nicht in Erfüllung gehen, Wut auf das System, der Wunsch nach mehr Unabhängigkeit und Freiheit …«
    »Jemand wie Sie weiß doch gar nicht, was das Wort bedeutet, Mann«, brauste Milenz auf, und Rößner schien erreicht zu haben, was er beabsichtigte. »Für Sie besteht Freiheit doch nur aus bedrucktem Papier. Für mich ist es eine Lebenseinstellung! Ich pfeif auf noble Autos, auf teure Wohnungen und steuerlich absetzbare Geschäftsessen. Das ist nicht meine Welt, selbst wenn ich sie mir leisten könnte. Ja, ich habe Träume, die

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