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Sterblich

Sterblich

Titel: Sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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gegeben.«
    »Was arbeitet er?«
    Tariq sieht ihn an, antwortet aber nicht. Zu früh, denkt Henning, lass den Mann erzählen.
    »Wir hatten es anfangs nicht so leicht. Konnten die Sprache nicht und hatten nur Pakistani als Freunde. Mein Bruder hat mich aber dazu gebracht, einen Norwegisch-Kurs zu machen. Da haben wir Leute aus anderen Ländern getroffen. Frauen. Norwegische Frauen …«
    Er verweilt ein wenig auf dem letzten Wort und lächelt dann kurz. Henning sagt nichts.
    »Mein Bruder hat niemanden getötet. Er ist ein guter Mann. Und er hat sie geliebt.«
    »Henriette?«
    Tariq nickt.
    »Waren sie lange zusammen?«
    »Nein, ein Jahr vielleicht.«
    »Wie war ihre Beziehung?«
    »Gut, glaube ich. Ziemlich viel Action.«
    »Viel Sex, meinen Sie?«
    Tariq lächelt. Offenbar hat er eine ganz konkrete Erinnerung im Kopf oder mehrere. Er nickt.
    »Waren sie einander treu?«
    »Warum fragen Sie das?«
    »Glauben Sie nicht, dass die Polizei diese Frage auch Ihrem Bruder stellen wird?«
    Tariq antwortet nicht, aber Henning sieht, dass er nachdenkt.
    »Es ging ein bisschen auf und ab.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ich habe mehrmals gedacht, dass jetzt Schluss ist, aber sie haben immer wieder zueinandergefunden. Und so, wie sie es in den letzten Tagen hier getrieben haben – das kenne ich von niemandem sonst.«
    »Dann haben sie …«
    Tariq nickt.
    »Henriette war ziemlich laut. Das war sie immer schon, aber gestern war es echt extrem.«
    Das Lächeln verschwindet aus seinem Gesicht. Er hat seit einer Minute keinen Zug mehr genommen, doch jetzt zieht er kräftig an der Zigarette und drückt sie im Aschenbecher aus.
    »Sie haben sich auf dem Mela-Festival getroffen. Damals ist noch nichts geschehen, aber dann haben sie sich später bei einer Filmpremiere wiedergesehen. Und da hat es …«
    Tariqs Handy klingelt, Henning vermutet, dass es im Schlafzimmer liegt. Es ist eine Melodie, die er schon einmal gehört hat, aber nicht einordnen kann. Tariq kommt etwas aus dem Konzept, lässt es aber klingeln. Er greift nach dem Feuerzeug, nimmt es in die Hand und sieht es sich an.
    »Es ist wirklich schrecklich, was da passiert ist«, sagt er, ohne den Blick zu heben.
    »Haben Sie eine Ahnung, wer das getan haben könnte?«
    Er schüttelt den Kopf.
    »Hatten Henriette und Ihr Bruder gemeinsame Freunde, mit denen sie zusammen waren?«
    Tariq schnippt mit einem Finger hart über das Feuerzeugrädchen. Eine stolze Flamme springt hervor, und Henning spürt, wie sich in seiner Brust etwas zusammenzieht.
    »Wir sind aus Pakistan. Wir haben viele Freunde.«
    »Auch norwegische Freunde?«
    »Viele.«
    »Sind welche davon verheiratet?«
    »Verheiratet?«
    »Ja? Eheleute, Ring am Finger.«
    »Ich verstehe Ihre Frage nicht.«
    »War jemand von denen in der Kirche und …«
    »Hallo! Ich weiß, was Ehe bedeutet. Ich verstehe aber nicht, warum Sie das fragen.«
    Tariq fingert weiter an dem Feuerzeug herum, während er Henning ansieht. Er weiß nicht, wie er sich ausdrücken soll, ohne zu viel vorwegzunehmen oder verletzend zu wirken.
    »War von denen schon einmal jemand untreu?«
    Tariq zögert eine Sekunde. Er hält Hennings Blick erst stand und blickt dann zu Boden.
    »Das weiß ich nicht.«
    Seine Stimme ist leiser geworden, und Henning denkt, dass Tariq etwas weiß, das er nicht erzählen möchte. Er notiert sich »Beide untreu?« auf seinem Block.
    »Was hat Ihr Bruder gearbeitet?«
    Tariq sieht wieder auf.
    »Warum ist das so wichtig für Sie?«
    Henning zuckt mit den Schultern.
    »Vielleicht ist es gar nicht wichtig. Vielleicht aber auch der wichtigste Punkt von allen. Das weiß ich nicht. Ich frage ja, um besser verstehen zu können, wer Ihr Bruder ist. Die meisten von uns sind doch ihre Arbeit. Wir definieren uns doch darüber.«
    »Tun Siedas?«
    Henning will weiterreden, er ist gerade so schön in Fahrt, doch die Frage nimmt ihm den Wind aus den Segeln. Er versucht, eine vernünftige Antwort zu finden, doch es will ihm nicht gelingen.
    »Nein.«
    Tariq nickt. Henning glaubt, Anerkennung in seinem Blick zu erkennen, ist sich aber nicht sicher.
    »Mein Bruder fährt Taxi.«
    »Hat er einen Taxischein?«
    »Nein.«
    »Und für wen fährt er dann?«
    »Für Omar.«
    »Wer ist das?«
    »Ein Freund.«
    »Wie heißt er weiter?«
    Tariq seufzt.
    »Omar Rabia Rashid.«
    »Und was arbeiten Sie?«
    Er sieht Henning resigniert an.
    »Ich bin Fotograf.«
    »Freelancer? Oder arbeiten Sie fest für jemanden?«
    »Freelancer.«
    Henning versucht,

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