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Sterblich

Sterblich

Titel: Sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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Fluchtmöglichkeit offen. Unter ihm fließt der Akerselva schnell in Richtung Fjord vorbei, und es wäre ein Leichtes, die Mündung einer Waffe aus einem geöffneten Autofenster zu schieben und einfach abzudrücken.
    Jetzt reicht es aber. Er hat keine Lust, überall nach Gewehrläufen Ausschau zu halten. Er arbeitet erst seit ein paar Tagen wieder und glaubt bereits, dass ein paar skrupellose Verbrecher es auf seinen Skalp abgesehen haben. Es reicht wirklich! Ich will das nicht, sagt er zu sich selbst und fasst einen Entschluss.
    Er spaziert den Bürgersteig entlang, mit viel Muße, und genießt die Nachmittagssonne, die gerade erst durch die Wolkendecke über dem Oslo Plaza gebrochen ist. Als er sich Grünerløkka nähert, hat er fast das Gefühl, wieder alles unter Kontrolle zu haben. Und deshalb geht er in seine Wohnung, ohne als Erstes die Rauchmelder zu kontrollieren.
    Erst als er in seine Küche gehen will, bleibt er wie angewurzelt stehen. Verdammt, denkt er, das geht doch nicht. Die kann ich doch nicht einfach ignorieren.

50
    Jetzt wird’s lustig, sagt Brogeland zu sich selbst, als er an Arild Gjerstads Tür klopft. Gjerstad bittet ihn mit tiefer Stimme herein. Brogeland öffnet die Tür. Gjerstad hat den Telefonhörer am Ohr und zeigt auf den Stuhl auf der anderen Seite seines Schreibtischs. Brogeland setzt sich. Wenn doch nur Sandland hier sein könnte, denkt er, vielleicht wäre dann …
    Gjerstad brummt leise und hört dem Anrufer lange zu, ehe er schließlich nickt und sagt: »Okay, dann machen wir das so. Halten Sie mich auf dem Laufenden.«
    Er legt auf und sieht Brogeland an.
    »Ja«, sagt er und atmet dabei schwer aus. Seine Stimme klingt fast wie ein Seufzen, aber Brogeland versucht, diese Wahrnehmung zu verdrängen. Jetzt ist er mit seiner Show dran. Er legt Hagerups Skript vor dem großen Mann auf den Schreibtisch und sieht Gjerstad erwartungsvoll an. Sein Chef nimmt das Drehbuch in die Hand und beginnt zu blättern.
    Brogeland nutzt die nächsten Minuten, um zu erzählen und zu erklären. Als er zum Ende kommt, sieht Gjerstad alles andere als zufrieden aus.
    »Du hast das von Henning Juul bekommen?«
    »Ja, Juul ist …«
    »Ich kann dir eine Sache über Henning Juul sagen«, fällt ihm Gjerstad ins Wort, steht auf und beginnt durch den Raum zu laufen.
    »Vor ein paar Jahren hatten wir hier in Oslo einen Fall, bei dem ein Mann Prostituierte getötet hat. Nicht Jack the Ripper, ganz und gar nicht, aber er hat ein paar Mädchen aus Nigeria getötet und damit gedroht, noch weitere umzubringen, wenn die Polizei diese Nutten nicht von Oslos Straßen entfernt. Er hat offen mit uns Kontakt aufgenommen und uns in seine Pläne eingeweiht.«
    »Ich erinnere mich an den Fall, w…«
    »Natürlich konnten wir diese Mädchen nicht von der Straße holen, selbst wenn wir es gewollt hätten. Zum einen geben wir solchen Forderungen grundsätzlich nicht nach, zum anderen sind diese Mädchen ständig in Bewegung und tauchen immer wieder an anderen Orten auf, ganz abgesehen davon, dass sie beschützt werden.«
    Gjerstad streicht sich mit der Hand über den Bart und stellt sich direkt vor Brogeland.
    »Henning Juul hat damals irgendwie herausgefunden, dass der Mörder mit uns in Dialog getreten ist und weitere Morde angedroht hat, und als das nächste nigerianische Mädchen ermordet wurde, mit siebenundvierzig Messerstichen in Rücken, Bauch, Brust und Gesicht, begann Juul, methodisch gegen uns zu arbeiten. Plötzlich waren wir der böse Wolf, weil wir nicht auf die Drohungen des Mannes reagiert hatten. Das Ganze gipfelte darin, dass es Juul sogar gelang, den Typen persönlich aufzuspüren und ein Interview mit ihm zu führen, ohne uns zu informieren. Das wäre unsere Chance gewesen, ihn festzunehmen. Aber es war Juul wichtiger, uns einsauszuwischen, als den Mann zu stoppen, noch mehr nigerianische Mädchen umzubringen. Was sagt dir das über Henning Juul?«
    Brogeland sucht am Boden nach der Antwort, findet sie aber nicht.
    »Warum, glaubst du, ist er mit dieser Sache zu dir gekommen?«, fragt Brogeland und zeigt auf das Skript. »Glaubst du wirklich, er hat das gemacht, um der Polizei zu helfen? Nein, nein, der will nur wieder selbst ins Rampenlicht!«
    Brogeland fällt wieder ein, dass Gjerstad für seine rhetorischen Fähigkeiten bekannt ist, und schweigt.
    »Es ist gut möglich, dass Juul auf etwas gestoßen ist, das für die Ermittlungen wichtig sein könnte, aber glaub bloß nicht, dass er so etwas macht, um

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