Sterbliche Hüllen: Thriller (German Edition)
des Todes. Sie glaubte nicht, dass sie zur Jägerin geeignet wäre. Als sie gerade das Areal verlassen wollte, damit man für die Nacht eine Plastikplane darüber legen konnte, fiel ihr das Ende eines Knochens ins Auge, der gerade ans Tageslicht kam. Diane ging hinüber und kauerte sich neben die Frau, die dieses Planquadrat ausgrub.
»Können Sie etwas erkennen?«, fragte die junge Frau.
»Dieser Knochen ist zwar von einem Mitglied der Familie der Hundeartigen angenagt worden, aber er ist eindeutig das distale Ende eines menschlichen Oberarmknochens – das Ende also, das mit den Unterarmknochen und Elle und Speiche verbunden ist«, erklärte ihr Diane. Sie hatte erwartet, kurz unter der Oberfläche einen Arm oder vielleicht einen Schultergürtel zu finden, da ja das ominöse Schlüsselbein bereits seinen Weg ans Tageslicht gefunden hatte. Sie mochte es, wenn ihre Erwartungen tatsächlich eintrafen.
»Glauben Sie, dass der Rest von ihm in der Nähe liegt?«, fragte die Ausgräberin.
Diane zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Vielleicht hat aber auch ein Tier den Arm vom Torso getrennt und hierher geschleppt. Er könnte aber auch durch Wasser an die Oberfläche geschwemmt worden sein.«
»Ganz schön grausig, das Ganze«, rief die junge Frau aus.
»Ja, das ist das richtige Wort. Grausig.«
Diane fuhr ins Museum, um dort das Tagesgeschäft zu erledigen, bevor sie Frank abholte. Andie hatte ihr einige Mitteilungen auf den Schreibtisch gelegt. Nichts Dringendes. Sie duschte sich in ihrem persönlichen Badezimmer, das neben dem Konferenzraum ihres Büros lag. Sie kämmte ihr kurzes, nasses Haar nach hinten, legte ihr minimalistisches Make-up auf und zog Jeans, ein T-Shirt und eine rötlich braune Hemdenjacke an. Es tat gut, sich wieder sauber zu fühlen.
In diesen Tagen arbeiteten viele Leute im Museum bis in die Nacht hinein; je näher der offizielle Öffnungstermin rückte, desto mehr Mitarbeiter leisteten Überstunden. Ihre heutige Abwesenheit erinnerte sie daran, dass sie einen stellvertretenden Direktor finden musste. Die bisherigen Bewerbungen, die sie auf den Tisch bekommen hatte, hatten ihr nicht gefallen, und sie war sich nicht sicher, ob sie jemand im Haus befördern sollte.
Sie ging die Treppe hinauf in Jonas’ Büro. Sie trat ein und studierte sein Schachbrett. Sie hatte das Spiel angefangen, damit Jonas sich hier etwas zu Hause fühlen konnte, war aber jetzt ganz überrascht, dass es ihr wirklich Spaß zu machen begann. Es war lange her, dass sie ihre letzte Partie mit Gregory gespielt hatte. Er hatte fast immer gewonnen. Nur einmal hatte sie ihn in 46 Zügen bezwungen. Sie zog ihren Königsspringer auf f3 und verließ sein Büro, schloss es ab und ging hinunter, um Frank zu treffen.
Als sie vor den Haupteingang trat, schaute sie sich um. Von außen gesehen erschien ihr das Museum jetzt viel anziehender, nicht so abweisend, wie sie es am Anfang empfunden hatte. Das war sicherlich auch der guten Arbeit der Museumsgärtner zu verdanken.
»Dr. Fallon.« Diane drehte sich um und sah zwei Mädchen die Außentreppe emporsteigen, Emily, die Cellistin, und Lacy, eine der Geigerinnen des Streichquartetts.
»Hallo. Wollen Sie Melissa und Alix besuchen? Machen die heute auch noch Überstunden?«
»Nein. Wir wollten mit Ihnen sprechen«, sagte Emily.
»Vielleicht sollten wir es lassen«, sagte Lacy und fasste ihre Freundin am Arm.
»Wollen Sie einen Job?«, fragte Diane und lächelte sie an. »Tatkräftige Mitarbeiter können wir immer gebrauchen.«
»Nein, das ist es nicht«, sagte Emily. »Es geht um etwas anderes.«
Sie schaute zu den Fenstern hinauf, als ob sie dort oben einen Spion vermutete. »Es ist etwas Persönliches.«
»Sollen wir in mein Büro gehen?«
»Das wäre besser.«
Auf dem Weg ins Büro rief sie Frank an und bat ihn, etwas später zu kommen. Sie führte die beiden jungen Damen in den kleinen Konferenzraum neben ihrem Büro. Die Sitzecke mit ihrem Polstersofa und ihren Sesseln war gemütlicher und weniger abweisend als ihr Arbeitszimmer. Sie setzte sich in einen der Sessel und bat Emily und Lacy, auf dem Sofa Platz zu nehmen.
»Also, was kann ich für Sie tun?«
»Es geht um Melissa«, sagte Emily. Als sie einen Moment zögerte, ergriff Lacy das Wort.
»Wir sind auch mit ihrem Freund Mike Seger befreundet.« Sie machte eine kurze Pause und holte tief Luft. »Das ist wirklich hart für uns. Wir haben versprochen, nichts zu sagen.«
»Fahren Sie fort.« Diane wartete auf
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