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Stern auf Nullkurs (1979)

Stern auf Nullkurs (1979)

Titel: Stern auf Nullkurs (1979) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frühauf
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er die Wand. Das Grün der Bäume und Sträucher wirkt blaß und kontrastlos. Anfangs glaubt er, daß die Entfernung die Farben verblassen lasse, aber je weiter die Rakete sich der Stadt nähert, um so auffälliger wird dieses Phänomen. Dann zeigen sich Lichtreflexe an der Peripherie des Trichters; so deutet sich die Wand an, ein Zylinder aus organischem Glas, der vom höchsten Punkt der Stadt, dem Parabol Erg II, bis tief in das Meer hinunterreicht. 
    Er kennt das alles von Bildern und aus Beschreibungen, aber es fasziniert ihn trotzdem. Weder Schilderungen noch Fotografien sind imstande, die gewaltige Größe Arktikas auch nur annähernd wiederzugeben.
     
    Die Maschine breitet die Stummelflügel aus, das Rauschen der Atmosphäre dringt leise herein bis in den Passagierraum. Bremsflächen fahren aus, ein Zug nach vorn entsteht, zieht die Reisenden in die Anschnallgurte, dann kommt die Landeplattform in Sicht. Eine schwimmende Scheibe am Fuße der Stadt, überragt von Antennen und Türmen, eine blaugraue Fläche mit blendendweißen Rollbahnen, die sich zu geometrischen Mustern ordnen. Die Zeit ist zu kurz, um alle Eindrücke aufzunehmen; die Plattform fliegt heran, kippt nach vorn unten weg, ein Luftpolster fängt die Maschine ab, weich und federnd jagt sie über die Piste, dann bremsen Magnetschleifen die Fahrt gegen Null. Vibrieren, Pfeifen, mehrmals wippt die Nase der Rakete auf und nieder, dann ist Stille.
    Kalo löst die Gurte und steht auf. Sein Blick fällt auf Aikiko. Sie liegt in ihrem Konturensessel, hat die Augen noch immer geschlossen, Röte färbt ihr bräunliches Gesicht noch dunkler. Er beugt sich nieder zu ihr und öffnet ihre Haltegurte, absichtlich läßt er sich viel Zeit. Sie lächelt, als sie seine Hände spürt, aber es ist kein Lächeln der Dankbarkeit. Er weiß, daß sie seiner Hilfe nicht bedarf, sie hätte die Gurte leicht selbst lösen können, aber nach einem Seitenblick auf Nelen weiß er um die Ursachen ihres Lächelns.
    Bereits bei den ersten Schritten über die Landeplattform erweisen sich ihre warmen Overalls als fehl am Platze. Eine frühlingshafte Temperatur herrscht, und daß auch hier am Pol der Winter seine letzte Schlacht verloren hat, zeigen niedrige Kiefern in Kübeln, Schalen mit hohen Gräsern und Röhrenarrangements, aus denen schlanke Pappeln aufstreben. Arktikas ewiger Frühling!
    Im Gebäude des Terminals suchen sie sofort die Kabinen der Umkleidestation auf und tauschen ihre warmen Overalls gegen Kleidung, die dem milden Klima besser entspricht.
    Kalo betrachtet das Manual aus vielfarbigen Bildern, Knöpfen und Hinweisen, wählt und verwirft und wählt erneut. Am Ende entschließt er sich dann wieder für einen hellbraunen Overall, wie er ihn eigentlich immer bevorzugt hat. Alle anderen Farben erscheinen ihm entweder als zu auffällig oder als nicht zu seinem Typ passend. Voller Selbstironie stellt er fest, daß er sich bisher nie um besonders kleidsame Anzüge gekümmert hat. Als er sich flüchtig im Spiegel betrachtet, findet er, daß er nicht anders aussieht als sonst, und er weiß nicht, ob er sich darüber freuen oder ärgern soll.
    Auch Torre Nelen kommt braun gekleidet aus seiner Kabine, nur ist seine Wahl auf einen wesentlich dunkleren Farbton gefallen. Der Overall sitzt knapp und spannt sich um die breiten Schultern. Das finstere Braun kontrastiert auffallend mit dem hellen Haar. 
    Aikiko läßt lange auf sich warten, und als sie dann endlich erscheint, fällt es Kalo nicht leicht, einen Ausruf der Begeisterung zu unterdrücken. Eine enganliegende Kombination deutet das Ebenmaß ihrer zierlichen Figur an, und das kaum gedämpfte Weiß hebt die Bräune ihres Teints hervor. Sie sieht wirklich bezaubernd aus. Selbst einem böswilligen Betrachter müßte bei ihrem Anblick das Herz höher schlagen. Und zu denen zählt sich Kalo beileibe nicht.
    Nelen ist außerstande, seine Bewunderung zu verbergen. „Ein herzerfrischender Anblick", erklärt er. Man spürt deutlich, daß er nicht gewöhnt ist, Komplimente zu verteilen. Dann geht er auf Aikiko zu, vielleicht, um sie genauer in Augenschein zu nahmen. 
    Aikiko weicht jedoch ein paar Schritte zurück, sie breitet lächelnd die Arme aus und dreht sich kokett. Ihre Augen heischen Bewunderung. 
    „Sehr schön!" murmelt Nelen.
    Da hängt sie sich schließlich doch noch an seinen Arm, sie streift Kalo mit einem Blick, denn sie weiß genau, daß er jede ihrer Bewegungen verfolgt, jede ihrer Mienen zu deuten versucht.

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