Stern auf Nullkurs (1979)
Sie wiegt sich ein wenig mehr als sonst in den Hüften, als sie, dicht an den Nordländer geschmiegt, hinüber zum Gleitweg geht.
Kalo bleibt absichtlich zurück, überzeugt, Aikikos selbstgewählte Rolle als Spiel zu durchschauen.
Die Kabine beschleunigt gleichmäßig und stoßfrei, gleich nachdem sie sie betreten haben. Sekundenlang herrscht nur das helle Summen der treibenden Magnetfelder, später kommt ein feines Vibrieren hinzu, das in jede Fiber des Körpers zu kriechen scheint. Dann, als das Fahrzeug die Endgeschwindigkeit erreicht hat, ist nur noch Stille um sie und in ihnen, absolute Stille. Eine Zeitlang gleiten sie durch schwärzliche Finsternis abwärts, dann taucht voraus ein heller bläulicher Schein auf, die Kabine gelangt in den Seetunnel, vor den Fenstern hängen winzige Luftblasen, vorerst das einzige, aus dem sie schließen können, daß sie sich Dutzende von Metern unter der Meeresoberfläche befinden.
Irgendwann durchqueren sie die Wand, eine mattbläuliche Fläche im leuchtenden Blau des Wassers, nur mit Mühe zu erkennen. Die geringe Dicke der Wand von kaum mehr als zehn Zentimetern setzt sie in Erstaunen. Scharfkantig durchbricht der Tunnel die glatte Fläche, deren Wölbung in ihrem gewaltigen Umfang verlorengeht.
Und abermals erleben sie eine Überraschung. Schwärme flinker Brassen gleiten an der Innenseite der Wand abwärts in die Tiefe, hin und wieder tauchen einzelne Lippfische auf, kleine bunte Gesellen, die mit glotzenden Augen die dahingleitende Kabine beobachten. Aber sie fliehen nicht, sie haben sich längst an das glasige Rohr und die Fahrzeuge gewöhnt. Nur ein massiger Barsch, vielleicht ein Schriftbarsch, ein Bursche von über einem Meter Länge, wendet sich träge ab und treibt seinen mächtigen Körper mit einem einzigen Schwanzschlag aus dem vermeintlichen Gefahrenbereich.
Aikiko bricht das Schweigen. „Das sind doch typische Bewohner warmer Meere", sagt sie. „Erinnere dich, Torre! Die gleichen Fische haben wir vor Aden gesehen und auch im Roten Meer. Hier im Polarmeer habe ich sie nicht erwartet." Dann setzte sie nachdenklich hinzu: „Eigentlich wäre es wieder an der Zeit, sich einen zünftigen Tauchurlaub zu gönnen. Vielleicht, wenn wir unsere Aufgaben hier erfüllt haben. Was meinst du, Torre? Wir kennen so viele Gegenden unserer Erde noch nicht. Die Belearen zum Beispiel oder die Antillen."
Nelen nickt. „Weshalb nicht? Wir könnten aber auch hier bleiben. Dies ist ein interessantes Gebiet. Sie haben eine Menge verschiedener Fischarten anzusiedeln versucht. Innerhalb der Wand ist das Wasser ziemlich gut temperiert. Fast so warm wie die Gewässer der Südsee. Die tropischen Fische Halten sich recht gut. Sogar Korallen wachsen hier."
Kalo konstatiert, daß Nelen wesentlich mehr redet, als es eigentlich seine Art ist, und auch die heftigen Gesten wollen nicht zu dem ansonsten so zurückhaltenden Nordländer passen. Nelen scheint sich verändert zu haben.
„Aber der Erfolg bleibt doch hinter den Erwartungen zurück", fährt er in seinem Vortrag fort. „Im allgemeinen werden die Tiere nicht so groß wie in ihren Heimatgewässern. Zuerst führte man das auf den geringeren Salzgehalt der Polarmeere zurück, aber auch eine Erhöhung des Salzanteils brachte keine merkliche Änderung. Wahrscheinlich spielt die Größe des ihnen zur Verfügung stehenden Raumes die entscheidende Rolle, und der ist ja durch die Wand erheblich eingeengt."
Plötzlich stockt er und deutet hinaus in die bläuliche Ferne des Meeres. „Dort, seht nur", ruft er. „Krillfischer!"
Weit drüben am Rande des Sichtbereiches gleitet ein riesiges Doppelnetz durch das Wasser.
„Sie fischen das Plankton ab, ehemals die beliebteste Nahrung der großen Wale, heute wichtigster Grundstoff vieler Nahrungsmittel. In Verbindung mit den Fischen decken sie hier einen großen Teil ihres Eiweißbedarfes selbst."
Das alles interessiert Kalo nicht im geringsten. Statt dessen beobachtet er gespannt Aikikos Reaktionen. Hörte sie anfangs noch aufmerksam zu, so zeigte sie doch bald eine Art Ratlosigkeit über Nelens Redeschwall. Jetzt ist eigentlich nur noch Erstaunen, ja mehr noch Ablehnung aus ihren Mienen zu erkennen. Ihre Verstimmung ist so augenscheinlich, daß sie eigentlich auch Nelen auffallen müßte.
Die Färbung des Wassers vor ihnen wird dunkler. Das Blau wechselt mehr und mehr zu stumpfem Schwarz. Die genaue Form dessen, dem sie sich immer weiter nähern, ist mit einem Blick nicht zu
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