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Stern auf Nullkurs (1979)

Stern auf Nullkurs (1979)

Titel: Stern auf Nullkurs (1979) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frühauf
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auch dieses Gefühl verschwunden, spätestens zu dem Zeitpunkt, an dem ihm sein Zustand hinreichend deutlich geworden war. Vor Dingen und Ereignissen der Vergangenheit empfindet man keine Angst, sie ist ausschließlich an Zukünftiges gebunden. Er hatte sie gespürt, als er das Bersten und Splittern beim Aufprall auf das Großschiff vernahm, als er im ersten Schrecken die Arme weit ausbreitete. Damals fürchtete er die Schmerzen und den Tod. Nun aber hatte es sich ergeben, daß ihm weder der Tod noch das Leben geblieben waren. Und auch die Schmerzen nicht.
    Sie hatte man ihm genommen, indem man ihn künstlich bewußtlos hielt, während er mit der Maschine verwuchs, während sie sich seiner Reste bemächtigte. Den Tod hatte man ihm genommen, indem man ihm den Schmerz raubte und ihn der Maschine auslieferte. Alles geschah durch die Maschine, alles gab sie, und alles nahm sie, wie die Luft und das Blut, gleichmäßig, unbeeindruckt, mechanisch. Sie war es, die seinen Körper mit Sauerstoff und Blut und dem Brausen füllte und die ihn wieder entleerte. Ob auch seine Gedanken aus ihr kamen? 
    Nein, sicherlich nicht. Die Maschine hielt seine Reste am Leben, während die zu sterben trachteten. Das paßte nicht zusammen. Also lagen seinen Gedanken an den Tod eigene Überlegungen zugrunde. Diese Gewißheit beruhigte ihn zwar nicht, aber sie lenkte ihn eine gewisse Zeit lang ab.
     
    In seinem Inneren tickte eine Uhr. Laut und gleichmäßig. Und je mehr sich sein Bewußtsein an die Oberfläche kämpfte, um so lauter wurde das Ticken, wandelte sich in tiefes rhythmisches Stöhnen. Die Maschine. William Randolph war die Maschine und die Maschine war William Randolph. Zwei Teile eines Organismus, die aufeinander angewiesen waren.
    Waren sie das? Oder bedurfte nur er der Maschine, sie aber keineswegs der Reste seines Körpers? Vielleicht gelang es ihm, sich Gewißheit zu verschaffen.
    Er versuchte die Atemfrequenz herabzusetzen, und wirklich tickte die Uhr langsamer. Als er die Luft anhielt, verstummte das Ticken ganz, aber er hatte nicht die Kraft, bis zum absoluten Ende durchzuhalten.
    Jetzt aber wußte er, daß ihm das Recht auf den Tod geblieben war.
    Wenn er es wünschte, konnte er die Luft anhalten, bis alles vorbei war, bis er gestorben war. Und mit ihm mußte die Maschine sterben, wurde zum wertlosen Metallhaufen, zu einem zufälligen Konglomerat verschiedenster Materialien. Einen Teil seines früheren Willens hatte er zurückerkämpft.
    Er fühlte sich verhältnismäßig kräftig, wahrscheinlich führte man ihm die unabdingbare Nahrung auf dem gleichen Wege zu wie das Blut und die Luft. Und nahm ihm die Abfälle in ähnlicher Weise. 
    Als er die Augen öffnete, sah er das Gesicht des Arztes vor sich; der verkniffene Mund lächelte. Die Folie, die ihn bisher von der Außenwelt getrennt hatte, war verschwunden. Das Zimmer war hell und lichtdurchflutet, grünliche fensterlose Wände und eine von innen heraus leuchtende Decke in sattem Gelb. Er erblickte weißgekleidete Menschen, Männer und Frauen, mit Gesichtern, die teils Interesse, teils Anteilnahme verrieten. Die Mienen der Frauen zeigten überwiegend Mitleid, eine von ihnen hatte Tränen in den Augen, und er fühlte sich versucht, ihr ein paar tröstende Worte zu sagen. 
    Statt dessen sprach der Arzt. Seine grünlichen Haftschalen funkelten zwischen einer Unmenge feiner Fältchen. Sein Mund bewegte sich langsam, jedes Wort exakt artikulierend: „Wir begrüßen dich unter den Lebenden. William Randolph. Du hast es geschafft." 
    Nicht er, sie hatten es geschafft. Sie hatten ihn zurück in ein Leben gerufen, das er nicht wollte. Trotzdem flüsterte er: „Danke." Ein anderes Wort fiel ihm nicht ein, und er erstarrte, als er die eigene Stimme hörte. Wenigstens konnte er jetzt schreien, wenn er das Bedürfnis dazu verspürte. Er würde so lange schreien, bis sie gezwungen waren, ihn abzuschalten, weil sie sein Gebrüll nicht mehr zu ertragen vermochten.
    Die Frau im Hintergrund schluchzte auf, zwei große Tränen lösten sich aus ihren Augen.
    „Hör auf zu heulen!" sagte William Randolph. „Euer Experiment ist doch gelungen. Was wollt ihr mehr. Mit dieser Maschine könntet ihr einen Stein zum Leben erwecken."
    Sie schluchzte noch lauter. Da er sie nur aus den Augenwinkeln sehen konnte, versuchte er den Kopf zu wenden. Er war erfreut, als es gelang. Nur die Manschetten an den Schultern schränkten sein Gesichtsfeld ein, aber er erblickte die Maschine an der

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