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Stern auf Nullkurs (1979)

Stern auf Nullkurs (1979)

Titel: Stern auf Nullkurs (1979) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frühauf
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Seitenwand. Über ihrer Tastatur blinkten Lichter. Sie leuchteten im selben Takt mit dem Ticken der Uhr in seinem Inneren. 
    Dort drüben an der Wand stehe ich, dachte er.
     
    Vier Tage später begannen sie ihn zu füttern. Bisher hatten sie kein Wort über seinen wahren Zustand verlauten lassen. Aus der Tatsache, daß er feste und flüssige Nahrung aufnehmen konnte, schloß er jedoch, daß in ihm noch Organe arbeiten mußten, die er bisher verloren geglaubt hatte.
    Eine Krankenschwester schob ihm löffelweise gelbliche Brühe zwisehen die Lippen. Er fühlte Wärme in sich hinabrinnen und versuchte ihren Weg zu verfolgen, aber irgendwo in der Nähe des Magens verlief sich die Wärme, verteilte sich wie ein in trockenem Sand versickerndes Rinnsal.
    Daß ihm die Schwester nach der Mahlzeit Reste der Brühe von Lippen und Kinn tupfte, verursachte ihm abermals ein Gefühl des Ekels vor der eigenen Unzulänglichkeit. Von nun an bereiteten ihm selbst kleinste Bemühungen des medizinischen Personals entsetzliche Qualen.
    Und wieder beschloß er, diesem Halbleben ein Ende zu setzen. 
    Er wußte, daß die nächtlichen Kontrollen in ziemlich großen Abständen erfolgten, im allgemeinen kam die Schwester nicht mehr als zwei- oder dreimal in acht Stunden. Er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß sie den Raum, in dem man ihn an die Maschine angeschlossen hatte, des Nachts nur mit leichtem Gruseln betraten. Hier lag seine Chance. Immerhin spürte er Skrupel bei den Gedanken, seinen Betreuern Ungelegenheiten zu verursachen. An ihren Verdruß über den offensichtlichen Mißerfolg mochte er gar nicht denken. 
    Er bemühte sich, wach zu bleiben, bis im Institut Ruhe eingekehrt war. Dank seines Trainings gelang es ihm ohne Schwierigkeit. Jetzt mußte er nur noch die Luft anhalten, und wenn ihm das lange genug glückte, dann würde der Tod eintreten. So einfach war das. Man atmete einfach nicht mehr, und da sich die Maschine der Lungenfrequenz anpaßte, erstickte man zwangsläufig. Als sein Bewußtsein endlich zerfloß, fühlte er sich grenzenlos erleichtert. In allen Einzelheiten spürte er, wie sich sein Ich von der Maschine löste.
     
    Trotzdem erwachte er am anderen Morgen, als sei in der vergangenen Nacht nicht das geringste geschehen. Sein seelischer Zustand war schlimmer als in all den vergangenen Wochen. 
    Gegen neun kam die Schwester mit der gelblichen Brühe. Wie ein ungezogenes Kind hielt er die Lippen geschlossen, und wie bei einem ungezogenen Kind verlegte sich die Schwester aufs Bitten. Da drehte er zornig den Kopf zur Seite und blickte an ihr vorbei. 
    Sie ging hinaus, langsam, mit schleppenden Schritten. Von der Tür aus blickte sie zurück. Er sah ihrem Gesicht an, daß sie nichts begriff. In ihren Augen war eine Spur von Verzweiflung. Sie schien überzeugt, irgendeinen schwerwiegenden Fehler begangen zu haben. Auf die Vermutung, daß der Grund seiner Weigerung in ihm selber lag, kam sie wohl nicht.
    Fünf Minuten später betrat der Arzt das Zimmer. Sie maßen sich gegenseitig, der Mann mit dem Kittel abwägend, fragend vielleicht, William Randolph mit zusammengebissenen Zähnen und Zornesfalte auf der Stirn. Beide schwiegen und versuchten die Gedanken des anderen auszuforschen.
    Schließlich ging der Arzt hinüber zur Maschine und riß den Protokollstreifen der vergangenen Nacht ab. Als er die Kurven betrachtete, zogen sich seine Brauen unwillig zusammen. Dann trat er näher an Randolph heran und musterte ihn, wie man wohl ein seltenes, nie zuvor gesehenes Wesen betrachten würde. In seinen Mienen hielten sich Verwunderung und Ablehnung die Waage.
    Randolph ertrug den Blick lange, aber irgendwann ging der lautlose Vorwurf über seine Kraft. „Laßt mich endlich in Ruhe!" flüsterte er. 
    Der Arzt nickte. „Ich werde gleich gehen", sagte er leise. „Aber vorher werde ich dir sagen, was ich von deinem Verhalten denke. Du willst dich davonstehlen, mein Lieber. Drücken willst du dich, abhauen, dich der Verantwortung entziehen. Du stellst dir das zu einfach vor. Luft anhalten, und die ganze Misere ist zu Ende. So stellst du dir das vor? O ja, William, ich begreife dich gut. Du willst nicht mehr. Dieses Leben ist nichts für dich. Du hattest dir alles anders vorgestellt, als du noch gesund warst. Verständlich. Aber du solltest bedenken, daß dir dein Tod nur Nachteile brächte. Du lebst, du denkst, du existierst..." 
    Er redete und redete, als sei er imstande, sich in die Lage seines Patienten zu

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