Stern auf Nullkurs (1979)
hatte als seine Kameraden.
Die endgültige Erkenntnis kam schlagartig, aber um den Bruchteil einer Sekunde zu spät.
Seine Energiestöße hatten einen Teil des Emissionsgitters beeinflußt, jetzt wurde die Gravitation nicht mehr in einer kontinuierlichen Säule freigesetzt, jetzt pulsierte sie, pulsierte seit Sekunden, und die Amplitude schaukelte sich weiter auf. Zu allem Überfluß nützten auch Lenkstöße nichts, die Lage der Rakete im Raum blieb stabil, es war, als flöge sie ruckweise in einen Tunnel hinein, dessen gegenüberliegendes Ende durch das Gravitationsgitter verschlossen wurde. Ein Zusammenstoß war unvermeidbar. Der Zug übertraf die Bremskraft der Bugsierrakete um ein mehrfaches. Randolph war sicher, daß der Aufprall in den nächsten drei oder vier Minuten erfolgen mußte. Die Ausschläge des Gravimeters gaben ihm einen Hinweis, welch große Energiemengen dabei freigesetzt werden würden. Es schien ihm unmöglich, daß er den Anprall überleben könnte.
Erst jetzt liefen die Anfragen der Kollegen ein. Der sich ständig verringernde Abstand bereitete ihnen wohl Sorgen. Sie rieten ihm, den Zwischenraum zu vergrößern, aber er fand nicht einmal mehr die Zeit, ihnen zu erklären, daß er in den verflossenen Minuten nichts anderes versucht habe, allerdings ohne jeden Erfolg.
Randolph traf die letzten Sicherheitsvorkehrungen, obwohl auch sie nach menschlichem Ermessen sinnlos waren. Er riß die Plomben von den Druckbegrenzern der Prallkissen, wohl wissend, daß er sich anschickte, ein Übel durch ein anderes zu ersetzen. Der Höchstdruck der Prallkissen konnte ausreichen, einen Menschen zu zerquetschen. Dann schloß er das Helmvisier und blies den Anzug auf.
Die Nase der Rakete näherte sich bei jedem Impuls bereits bedenklich dem Emissionsgitter, aber noch blieb der Kontakt aus.
Sosehr die positive Welle den Abstand verringerte, die negative vergrößerte ihn wieder auf mehr als sechzig Meter.
Als er mit dem Zusammenstoß von Minute zu Minute rechnete, breitete er die Arme aus, um dem Prallkissen eine möglichst große Angriffsfläche zu bieten. Er fühlte, daß die Nase seiner Maschine eine feste Wand berührte, es gab ein knirschendes Geräusch und einen vibrierenden Stoß, dann aber wurde er erneut nach vorn in die Gurte geschleudert, ein letztes Mal wich die Maschine zurück.
Das etwa fünfzig Meter vor ihm schwebende Gitter zeigte einen kreisrunden Abdruck, eine flache Delle. Es war lächerlich, aber er fühlte sich durch die Tatsache beruhigt, daß das Großschiff ohnehin auf dem Weg zur Werft war.
Als er gegen die Rückenlehne seines Sessels gepreßt wurde, breitete er sofort wieder die Arme aus, doch noch ehe er sie strecken konnte, schienen sie in einen zähen Brei zu geraten. Eine weiße Wand schoß wie das Flammenmeer einer Explosion auf ihn zu und hüllte ihn ein. Er hörte Geräusche ähnlich denen zersplitternden Holzes, aber er spürte den Schmerz in den Armen nicht mehr. Eine ungeheure Kraft drückte ihm die Luft aus den Lungen.
Schon das Erwachen war außergewöhnlich und beunruhigend. War er gewöhnt, auch nach langem Schlaf seine Identität, sein Ich, unvermittelt zu spüren, so war es diesmal ganz anders. Im Normalfall wurde er sich bereits in der Phase des Erwachens seines Seins sofort bewußt, diesmal jedoch bestand er aus nichts als einem hohlen Brausen. Er sah nichts, er hörte nichts, die vielfältigen Signale seines Körpers schienen unter der Oberfläche zu verweilen. Er selber war das Brausen. Und nichts sonst!
Irgendwo in seinem Inneren entstand die Sorge, etwas Wichtiges unterlassen zu haben, einen unaufschiebbaren Termin vielleicht verschlafen zu haben, aber er war außerstande, dieses Gefühl zu lokalisieren. Es war einfach da, überall in dem Brausen. Und nirgends sonst!
Diese ungewöhnliche Situation führte dazu, daß er nicht hätte sagen können, ob er lag, stand oder schwebte. Er war einfach nicht da. Und auch der Ort nicht, an dem er sich befinden mußte. Einen Augenblick lang fürchtete er, bereits gestorben zu sein, aber selbst dieser Gedanke löste in ihm keinerlei Sorge aus; nur das beunruhigende Wissen, daß er schnellstens zu erwachen habe, vertiefte sich ein wenig.
Nach einer Weile erfolglosen Bemühens, sich selber zu erfühlen, begann er zu zerfließen, nicht körperlich, da war nichts, was hätte zerfließen können, nur seine Gedanken verteilten sich, breiteten sich wie eine dünne Schicht über seine imaginäre Umgebung,
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