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Stern auf Nullkurs (1979)

Stern auf Nullkurs (1979)

Titel: Stern auf Nullkurs (1979) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frühauf
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Zeitpunkt an beobachtete er den Arzt mit gespannter Aufmerksamkeit. Nach weiteren Minuten neigte sich das Geseicht jenseits der Folie ein wenig, und die Augen blinzelten erneut. Randolph begriff die Bewegungen als Aufforderung zur Kontaktaufnahme und schloß ebenfalls kurzzeitig die Augen. 
    „Lidreflex!" sagte der verkniffene Mund des Arztes. Anscheinend legte der Mann keinen Wert auf eine Unterhaltung. 
    Willie Randolph versuchte Worte zu formulieren, aber noch gelang es ihm nicht zu artikulieren. Er wußte nicht einmal, ob sich sein Mund bewegt hatte.
    Wieder sagte der Arzt etwas, was er nicht verstand, und außerhalb von Willies Gesichtskreis antwortete eine Frau: „Frequenz steigt wieder."
    Es war eine bekannte Stimme, aber erst nach längerer Zeit besann er sich, daß er sie während seines ersten Erwachens vernommen hatte. Nur deshalb war sie ihm vertraut.
    Er versuchte den Kopf zu neigen, aber vorerst konnte er selbst diese einfache Bewegung nicht ausführen. Immerhin verschob sich sein Blickfeld infolge einer Abwärtsdrehung der Augäpfel. Im Unschärfebereich der Randgebiete erkannte er eine ebene Fläche ähnlich einer Tischplatte. Sie mußte etwa in Höhe seines Bauchnabels liegen. Mit äußerster Anstrengung wiederholte er den Versuch, aber ein ebenso weicher wie unnachgiebiger Druck behinderte ihn. Dann sah er eine Bewegung des Arztes, spürte, wie Hals und Kinn freigegeben wurden, und blickte nach unten.
    Zuerst begriff er nicht. Dann aber tauchte die grausige Wahrheit langsam in sein Bewußtsein, wie ein Schemen, der sich, näher kommend, langsam aus dem Nebel schält und sich schließlich zu einer entsetzlichen Fratze verdichtet.
    Unterhalb des Brustbeins wurde sein nackter Körper von einer Manschette gehalten, die ihn in Form eines Ringes umschloß und direkt der ebenen Platte auflag. Zuerst hoffte er noch, seine Beine und sein Unterkörper befänden sich in einer Art Kasten, aus dem lediglich der Oberkörper herausragte, aber er erfaßte sehr bald, daß er nur noch aus dem Oberkörper bestand.
    Kurz darauf meldete sich erneut die Frauenstimme: „Frequenz steigt wieder..., steigt sprunghaft."
    Er wandte den Kopf zur Seite, in die Richtung, aus der die Stimme zu kommen schien, aber er konnte die Frau nicht sehen. Statt dessen fielen ihm die Manschetten auf, die seine Schultern umschlossen. 
    Die Stimmen um ihn her gingen ineinander über, vermischten sich zum stumpfen Brausen eines Sturms. Er unternahm einen letzten Versuch, das Grauen seiner Lage auszuloten. Er trachtete, die Luft anzuhalten. Aber seine Brust hob und senkte sich unbeeinflußt weiter. 
    Ganz deutlich spürte er, wie er in Bewußtlosigkeit versank, und dieses Versinken war auf seltsame Art angenehm.
     
    Die folgenden Wochen verlebte er wie in einem ununterbrochenen Alptraum. War er wach, dann versuchte er ständig, wieder einzuschlafen, um seinen entsetzlichen Zustand zu vergessen. Er zählte, nie zuvor hatte er solch riesige Zahlen erreicht, er stellte sich vor, sein Körper befände sich in waagerechter Lage, half das nicht, so versetzte er sich in einen dunklen, völlig leeren Raum, und hin und wieder gelang es ihm, tatsächlich einzuschlafen. Im Schlaf verfolgten ihn jedoch oft Wahnvorstellungen, die sich immer weiter verdichteten und ihn schließlich nötigten aufzuwachen. Ebenso aktiv, wie er sich zum Schlaf zwang, zwang er sich jetzt zum Erwachen. Aber stets mußte er nach diesen Alpträumen feststellen, daß die Wirklichkeit sie bei weitem übertraf.
    Er war kein Mensch mehr, nicht einmal mehr ein halber Mensch. Er war lebensunfähig, war außerstande, der Gesellschaft auch nur den geringsten Nutzen zu bringen. Schlimmer, er existierte nur noch auf ihre Kosten, fiel anderen zur Last, statt seinen Beitrag zur Entwicklung zu leisten. Und fast noch schwerer wog, das Leben hatte sich ihm ein für allemal verschlossen, es würde ihm in Zukunft all das verwehren, worauf er bisher gehofft und was er erwartet hatte. Das Dasein des William Randolph war nicht nur sinnlos, sondern sogar widersinnig geworden.
    Nur eines gab es noch für ihn: den Tod.
    Aber selbst der blieb ihm verwehrt. Randolph war außerstande, der eigenen Existenz ein Ende zu setzen. Eine Maschine preßte Blut durch die Gefäße des Restes seines Körpers und füllte die Lunge mit Luft. Er war wie ein elastischer Sack, den jemand mit boshafter Gelassenheit aufblies und aussaugte, aufblies und aussaugte. 
    Hatte er zuerst noch Angst empfunden, so war jetzt

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