Stern auf Nullkurs (1979)
waren weder auf einen bestimmten Punkt zu konzentrieren noch auf die Gesamtheit seines Bewußtseins. So tauchte das Brausen in einer ungeheuerlichen Stille unter.
Nach einer langen Zeit erwachte er erneut. Er erwachte auf die gleiche beunruhigende Weise wie beim erstenmal. Diesmal jedoch war das Brausen differenzierter, diesmal glaubte er leise Stimmen unterscheiden zu können. Er versuchte Worte festzuhalten, was ihm mit einiger Anstrengung auch gelang.
„...wird er erwachen", sagte eine männliche Stimme. „Ich bin ganz sicher."
„Licht!" forderte eine andere. Sie brach laut und direkt in ihn ein, der Gedanke, daß sie nicht über äußere Rezeptoren übertragen wurde, sondern unvermittelt in ihm selbst entstand, stürzte ihn in erste Panik. Das aufflammende Licht war nichts als ein Energieblitz in seinem Inneren.
„Aus!" schrie die Stimme. „Flimmerfrequenz!"
Das Gefühl tiefer Erregung klang in ihm ab.
Später spürte er, daß er aufrecht stand. Auch das war ungewöhnlich. Früher hatte er die waagerechte Körperlage bereits während des Erwachens konstatiert, diesmal war er sicher, eine senkrechte Haltung einzunehmen. Nicht sein gesamter Körper signalisierte die vertikale Lage, denn der war immer noch gefühllos, aber das, was sich, ohne daß er es hätte beschreiben können, erspüren ließ, wies eindeutig auf sie hin.
„Langsam, langsam!" Eine andere Stimme. Die einer Frau.
In Randolphs Innerem entstand trüber Därnmer. Und er blieb auch, als er sich gewaltsam zwang, die Augen zu öffnen.
Das erste, was er sah, war ein Gesicht über einer weißen Fläche. Er sah nur das Gesicht und die Fläche, wie in einem Rahmen aus grauem Nebel. Das Gesicht war hell und hatte aufmerksam blickende Augen und einen schmalen, ein wenig verkniffenen Mund. Er erkannte die gespannte Aufmerksamkeit in den Augen trotz der grünen Haftschalen und der unerklärlichen Lichtreflexe, die das Gesicht immer wieder verwischten.
Der verkniffene Mund bewegte sich und sagte erneut: „Langsam, langsam!"
Das Brausen in Randolph schwoll wieder an. Ein wenig beruhigte ihn die Tatsache, daß er sich offensichtlich verlagert hatte. War er selber eben noch das Brausen gewesen, befand es sich jetzt nur noch in seinem Inneren. Nun erst war er sicher, daß er noch lebte. Dies gab ihm einen Teil seiner Erinnerung zurück.
„Langsamer! Frequenz steigt."
Bruchteile verschütteter Reminiszenzen tauchten in ihm auf. Die Wölbung vor ihm, die aus winzigen Rhomben bestehende Kreisfläche, sein vor und zurück pendelnder Körper, das Knirschen berstender Beplankung, die weiße Wand, ein tödlicher Druck..."
„Aus! Flimmerfrequenz!"
Dunkel, Stille.
Das Entsetzen kam mit dem dritten, dem eigentlichen Erwachen. Bereits in der Phase der Bewußtseinsverdichtung erkannte er, daß er kein Mensch mehr war. Der Schock brachte ihn vollends in die Realität zurück.
Wieder war das Gesicht vor ihm. Diesmal hatte sich der neblige Rahmen wesentlich erweitert. Nur die Lichtreflexe waren verwirrend. Hinzu trat die lähmende Furcht vor der endgültigen Erkenntnis, die irgendwann kommen mußte, die Furcht vor dem Wissen, vielleicht ewig Außenseiter bleiben zu müssen.
Die Lichtreflexe entstanden auf einer Folie, die sich vor ihm wölbte und ihn vom Gesicht des Arztes trennte. Das Licht verschob sich, wenn sich der Mann im weißen Kittel bewegte. Als Randolph sich auf das eigene Sein konzentrierte, begann er seinen Körper zu spüren, zumindest einen Teil davon. Zuerst kehrte das Gefühl in die Brustregion zurück, er spürte den eigenen Herzschlag und das Pumpen der Lunge. Doch die Signale aus Armen und Beinen blieben aus, und auch der gesamte Unterkörper schien nach wie vor gefühllos zu sein.
Er erinnerte sich, gehört zu haben, daß ähnliche Erscheinungen bei Wirbelsäulenverletzungen auftreten. Schon der bloße Gedanke daran bereitete ihm Pein.
Lange betrachtete er das Gesicht außerhalb des Foliezeltes. Er sah es durchaus nicht gleichmäßig deutlich. Hin und wieder verschwamm es ein wenig, und auch der Nebelrahmen zog sich von Zeit zu Zeit enger zusammen. Aber meist stellte sich nach kurzer Zeit der Normalzustand wieder ein, und Randolph erkannte seine Umgebung mit hinreichender Genauigkeit. Auch die Geräusche wurden verständlicher. Er konnte einzelne Stimmen unterscheiden und begriff bereits den Sinn des Gesprochenen.
Irgendwann glaubte er ein Blinzeln der Augen mit den grünen Haftschalen zu bemerken. Von diesem
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