Stern auf Nullkurs (1979)
mit seinen trauten Ufern verlassen und treiben in einem düsteren Meer ohne Strand, ohne Anfang und Ende, ohne Sonne und Leben.
Wie eine rettende Insel erscheint ihnen jetzt der Unheimliche. „Da ist er", flüstert Tonder.
Kalo richtet sich auf. Mit dem Handrücken fährt er über das Kinn und fühlt tagealte Stoppeln. Er ist müde, fühlt sich wie zerschlagen. Auch Pela setzt sich aufrecht. „Wo?"
Wortlos deutet Tonder zum Bildschirm, auf dem die kleine Scheibe heranwächst. Das Ziel liegt vor ihnen, die Aussicht auf das Ende des schier unendlichen Fluges verleiht neue Energie, und mag dieses Ziel auch der Unheimliche sein. Er ist ihre rettende Insel.
Eine Stunde später haben sie ihre frühere Spannkraft zurückerlangt. Tonder und Kalo haben sich rasiert, und Pela hat dreißig Minuten dazu benutzt, um sich so herzurichten, daß es sie einigermaßen befriedigt. Sie haben auch gegessen und werden von einem wohligen Sättegefühl durchströmt.
Kurz darauf steuert Tonder die Maschine auf eine weite Kreisbahn um den Unheimlichen ein.
Ihre Parkbahn ist ungewöhnlich hoch. Die Gravitation des Unheimlichen liegt nur unwesentlich über der der Erde, sein Durchmesser jedoch ist ungleich größer. Das zwingt zu dieser abnorm hohen Umlaufbahn und auch zu einer relativ langsamen Umkreisungsgeschwindigkeit. Für eine einzige Umrundung werden sie fast neun Stunden benötigen.
Die ersten Daten laufen ein. Im wesentlichen bestätigen sie die bereits von der Station Pluto III aus gewonnenen Ergebnisse. Temperatur, Masse und Durchmesser stimmen mit den gespeicherten Werten nahezu überein, aber ihr Zusammenhang wird dadurch nicht klarer. Man muß sich damit abfinden, daß die ermittelten Parameter den Tatsachen entsprechen, aber das würde zugleich bedeuten, daß auf diesem Stern andere Naturgesetze als auf der Erde gelten, mehr noch, daß bestimmte natürliche Zusammenhänge, die man bisher als allgemeingültig betrachtete, hier außer Kraft gesetzt sind. Und eben dies scheint Kalo unmöglich.
Er sieht den Unheimlichen deutlich auf dem Bodenbildschirm. Trotz völligen Fehlens einer natürlichen Energiequelle wie der Sonne sendet der Dunkle auch im optischen Bereich eine schwache Strahlung aus. Er wirkt jetzt bedeutend heller als der ihn umgebende Kosmos und wird dadurch recht gut sichtbar. Eigenartigerweise verdichtet sich das Leuchten zum Horizont hin, umgibt den Stern mit einer gelblichen Aureole. Das deutet auf eine Atmosphäre hin, aber es beweist auch, daß diese Atmosphäre von unten her, also von der Oberfläche des Unheimlichen aus, beleuchtet wird.
Zu Beginn der zweiten Umrundung läßt Tonder die Steuerdüsen der Querstabilisierung anlaufen. „Abstieg bis Atmosphärenkontakt!" ruft er über die Schulter zurück.
Im selben Augenblick klingt das Rauschen der Bremstriebwerke auf, Vibrationen lassen die Sessel erbeben, das Anwachsen der Schwerkraft wird spürbar, eine Empfindung, die, kaum zehn Stunden entbehrt, wie eine Erlösung, wie ein Gefühl der Heimkehr begrüßt wird.
„Kontakt mit der Lufthülle!" sagt Tonder. „Leite atmosphärische Bremsung ein!"
Die Triebwerke verstummen, dafür liegt jetzt ein immer lauter werdendes helles Pfeifen auf den Stummelflächen, die Maschine taucht in die äußersten Schleier der Sternatmosphäre ein. Auf der Steuerkonsole beginnt die Nadel des Außenthermometers zu steigen.
„Rezeptor ausgefahren..., eingefahren..., Luftzusammensetzung ..." Tonders Worte kommen in Abständen, wie Tropfen, aber voller Spannung.
Kalo richtet sich auf. Jetzt muß sich vieles entscheiden, vielleicht alles, jetzt, in wenigen Sekunden.
„Stickstoff... dreiundfünfzig. Sauerstoff... achtzehn. Kohlendioxid ... zwölf. Edelgase und Wasserstoff bilden den Rest." Er hört, wie Pela aufatmet, aber noch enthält sie sich jeder Äußerung.
Auch Tonder hat die Beschaffenheit der fremden Atmosphäre nur konstatiert, mit einer Beurteilung läßt er sich Zeit, obwohl das eigentlich nicht seine Art ist. „Leben könnten wir dort nicht", sagt er schließlich.
Nein, leben könnten sie dort nicht, zumindest nicht ohne Atemmasken. Aber etwas anderes war ohnehin nicht zu erwarten. Auffällig ist das Fehlen freien Ozons in den höchsten Schichten der Gashülle des Dunklen. Das beweißt, daß dieser Stern entweder nie im Einflußbereich einer Sonne gewesen ist oder diesen Bereich schon vor undenklichen Zeiten verlassen hat. Ist dann aber die Theorie, nur in der Nähe von Sonnen könne Leben
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