Stern auf Nullkurs (1979)
solange sich die Öffentlichkeit um ihn bemühte. Als aber das allgemeine Interesse abzuklingen begann, trat sie in den Vordergrund. Praktisch über Nacht reisten sie ab, in ein kleines Hotel an der See. Weshalb Aikiko damals so tat, als hätten sie dem Zweiten des Wettbewerbs, eben jenem Nordländer Torre Nelen, einen Streich gespielt, begriff er erst später, vierzehn Tage später.
Dabei hatte zuerst alles so einfach ausgesehen, so leicht, so klar. Aikiko, die angehende Biokybernetikerin, war an kein Spezialgebiet gebunden, sie konnte, so glaubte er, überall eine Aufgabe finden, die sie ganz ausfüllen würde. Und auch er hatte sich noch immer für keinen speziellen Beruf entschieden. Was lag näher, als zusammenzubleiben? Und doch ging sie zurück nach Japan, in eine Region, von der er nur unklare Vorstellungen hatte. Zierliche, dunkle Menschen mit mandelförmigen Augen, bunte Gärten und blühende Kirschbäume, ein Berg, dessen Umkreis von jeder Industrie frei gehalten wird, der Fudschijama, mehr Symbol als Naturschönheit. Das war alles, was er von der fernöstlichen Region wußte, und auch heute weiß er nicht viel mehr als das.
Dorthin ging sie also zurück, allein, ohne ihn. Erst einen Tag vor ihrer Abreise erfuhr er es.
Die vierzehn Tage hatten sie in einer Bunglowsiedlung am Meer verbracht. Von den allgemeinen Vergnügen hatten sie sich weitgehend ferngehalten. Nicht immer und nicht ausschließlich, das verstand sich von selbst; seit seinem Rekord kannte man ihn und wollte sich mit ihm unterhalten. Meist jedoch waren sie mit sich und ihrer Zweisamkeit vollauf beschäftigt.
Und dann saß sie neben ihm am Strand und ließ Sand durch ihre Finger rinnen. Unter ihren Händen häuften sich kleine Hügel auf. An diesem Tag war sie ungewöhnlich schweigsam, fast so etwas wie Ratlosigkeit glaubte er in ihren Mienen zu erkennen. Ihre dunklen Augen gingen zwischen ihm und der See hin und her, aber er ahnte, daß sie weder ihn noch die Schaumkämme auf den Wellen, noch die Möwen oder die Schiffe sah.
Auch er schwieg, er wußte, daß es nicht gut war, sie zu drängen, irgendwann würde sie sich ihm anvertrauen. Zu viel Gemeinsames gab es zwischen ihnen, als daß etwas unausgesprochen bleiben könnte, das sie beide anging.
Schließlich schleuderte sie mit einer heftigen Bewegung eine Handvoll Sand zu Boden und erhob sich. Ganz still stand sie und blickte auf das Meer hinaus. Die Sonne hatte ihre Haut tiefbraun getönt, und in ihrer Bewegungslosigkeit erinnerte sie an eine geschnitzte Statue aus mattiertem Holz. Nur ihre Brust hob und senkte sich langsam. „Morgen werde ich reisen", sagte sie leise. „Man wird mich abholen. Unsere Zeit geht zu Ende."
Er begriff nicht sofort, wollte nicht begreifen. „Weshalb zu Ende? Sie hat ja eben erst..."
Sie schüttelte heftig den Kopf. „Ich habe meine Aufgaben, Kalo, meinen Lebenskreis, meine Freunde und Bekannten. Weder das eine noch das andere von alldem kann ich aufgeben. So schön auch die Zeit mit dir war." Immer leiser hatte sie gesprochen, die letzten Worte waren nur noch ein Flüstern, wie ein Windhauch. Er ahnte sie mehr, als daß er sie hörte. Trotzdem wirkte sie jetzt streng und unnahbar. Und noch immer sah sie ihn nicht an.
„Und ich will es auch nicht."
„Aber ich könnte doch..." Er sprach den Satz nicht zu Ende, wußte, daß er ihren Entschluß zu akzeptieren hatte. Nein, er würde sie nicht bitten, mit ihm zusammenzubleiben, aufdrängen würde er sich nicht.
„Nein, Kalo!" Endlich wandte sie ihm das Gesicht zu. Um ihre Mundwinkel zuckte es, und er ahnte, daß ihr die Trennung nicht leichter werden würde als ihm. Schließlich hockte sie sich neben ihn, so nah, daß sie ihn berührte, daß er ihre Nähe fühlen konnte, wie er sie in den vergangenen Tagen gefühlt hatte. Vielleicht hätte es nur eines Wortes bedurft, sie umzustimmen, aber er fand dieses Wort nicht.
„Noch nicht", sagte sie schließlich. „Später vielleicht. Ich werde oft an dich denken müssen."
Damals schien ihm ihre Handlungsweise sinnlos und selbstquälerisch zu sein, aber schon am anderen Morgen glaubte er sie zu begreifen.
Aikiko stand sehr zeitig auf, und sie frühstückte hastig und ohne die gewohnte, fast rituelle Hingabe, die er allmorgendlich an ihr bewundert hatte. Hin und wieder lief sie zum Fenster und blickte die Straße entlang, als erwarte sie jemanden mit Ungeduld. Da erst erinnerte er sich, daß sie ihm mitgeteilt hatte, sie werde abgeholt.
Am
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