Stern auf Nullkurs (1979)
Tag.
Kalo bewundert den hiesigen Menschenschlag, der mit Betriebsamkeit und Sinn für Situationen stets als eine Art Indikator für Neues gilt, hier deuten sich Entwicklungstendenzen heftiger an als anderswo, und hin und wieder tut man auch des Guten zuviel.
Rolltreppen bringen ihn nach oben an das Licht des immer noch jungen Tages. Kotschis Vorort Akutagawa bietet sich ihm als weite, glasige Ebene über tiefschwarzem Grund dar, als geometrisch geordnetes Netz breiter Rollbahnen, die eine Unzahl flacher Kuppeln verbinden. Die der Mittagssonne zugekehrte Stirnfläche der Stadt, ihr einziger überseeischer Teil, ist ein gewaltiger Sonnenkollektor, dessen aufgefangene Energien ausreichen, Akutagawa zu versorgen, tropische Bäume in unterseeischen Hallen wachsen und ihre Früchte reifen zu lassen, Licht im grünen Dämmer des Meeres zu spenden und Röhrenbahnen zu treiben. Die Stadt lebt durch ihre Sonnenbatterien.
Unter der Kuppel 12/69 herrscht Stille. Das Rauschen der See, der Lärm der Geschäftsstraßen, das Rattern der Rollbahnen, hier haben sie keinen Zutritt, der Zylinder 12/69 ist der Sitz der Arbeitsgruppe Interkos.
Nach der kühlen Brise auf der schwarzen Ebene empfindet Kalo die Treibhausatmosphäre im Inneren der Kuppel als angenehm warm. Ringsum an den Wänden stehen Kübel mit blühenden Magnolien, die großen Kelche verbreiten einen intensiven Duft. Dazwischen Kakteen, nie gesehene Formen, kunstvolle Züchtungen, wie Säulen aufstrebend oder sich dem Betrachter wie Hände entgegenreckend. In der Mitte des Raumes ein ringförmiges Wasserbecken, in dem die Blüten des Edellotos wie bunte Schmetterlinge schaukeln. Über dem Becken ein winziger, verspielter Steg, weiß wie Birkenholz, der am Fuß einer geschwungenen Säule endet. Schlank erhebt sie sich aus dem klaren Wasser, verjüngt sich nach oben, wird kurz unter der Decke wieder breiter und geht schließlich in das glasige Material der großen Kuppel über.
Als Kalo den Steg betritt, gleitet ein gewölbtes Stück der Säule lautlos zur Seite und gibt die Kabine des Fahrstuhls frei.
Der Expreßlift befördert ihn in eine Tiefe von einhundertzwanzig Metern unter dem Meeresspiegel, ein gekrümmter Gang nimmt ihn auf, gepolsterte Türen links und rechts, ein weicher Teppich dämpft den Schall der Schritte.
Genauso hat sich Kalo die japanische Region und ihre Menschen vorgestellt, verspielt und naturliebend, künstlerisch ambitioniert und still genießend auf der einen Seite, auf der anderen jedoch sachlich und exakt, dynamisch und zielstrebig.
Und dann steht er Aikiko Mangawa gegenüber. Lange mustert er sie schweigend. Nach einer Sekunde der Stille kommt sie mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu, während er noch immer steht und schaut und auf ihre Stimme wartet, von der er eingehüllt werden möchte mit all ihrer Wärme.
„Kalo!" sagt Aikiko, und wirklich ist ihre Stimme schon wie eine Umarmung.
Es ist nicht alles, wie es war.
„Man kann nicht einfach dort neu beginnen, wo man einst aufgehört hat. Die Glut vermag man zwar lange zu bewahren, nicht aber die Flamme. Du mußt mir Zeit lassen. Nimm auch du sie dir."
Das sind Aikikos Worte, und fast ist er ihr dankbar, daß sie ihr Verhältnis von Anfang an klarstellt. Sie hat sich, wie er es bei sich nennt, japanisch verwandelt. Aus seiner temperamentvollen Gefährtin ist eine sachlich und exakt abwägende Frau geworden. Vorerst zählt nur ihre Aufgabe. Vorerst! Aber es ist eine Aufgabe, die keineswegs von heute auf morgen zu lösen ist.
Ein wenig bedrückt ihn, daß sie mit keinem Wort Michika erwähnt, und auch, daß sie nicht wenigstens sagt: „Du hast doch recht gehabt, Kalo, es gibt sie, die, mit denen du stets gerechnet hast."
Von William Randolph sind beunruhigende Nachrichten eingetroffen, und da die Gruppe Interkos nichts von Geheimniskrämerei hält, sind diese Nachrichten über Presse und Funk verbreitet worden. Das erklärt vielleicht die gedämpfte Erregung in den Hallen der Röhrenbahn und auf den Gleitwegen der Stadt.
Randolph hat viel geleistet in den vergangenen Tagen, eine Fleißarbeit gewissermaßen. Er hat all das zusammengetragen, was in diesen Stunden im erdnahen Raum in Erscheinung getreten ist und sich nicht mit Modellen bekannter Prozesse hat erklären lassen. Er hat die Meldungen lediglich gesammelt und weitergegeben, einen Kommentar dazu hat er nicht geliefert.
Von William Randolph sind beunruhigende Nachrichten eingetroffen, und da die Gruppe
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