Stern der Göttin
ausgezeichneten Heilerin ausgebildet werden können. Doch diesem Beruf haftete heutzutage etwas Bäurisches an. Ein Landmädchen mochte mit Hilfe einer begabten, alten Frau seine geistigen Kräfte schulen, um Krankheiten erkennen und sie heilen zu können. Für eine junge Dame aus gutem Haus war dies jedoch undenkbar. Dabei konnte Khaton sich noch gut an jene Zeiten erinnern, in denen Königinnen und Fürstinnen die Berufung zur Heilerin als hohe Auszeichnung empfunden hatten.
Als Nächsten musterte er den jungen Mann in der dritten Reihe. Aus diesem hätte mit einer sorgfältigen Ausbildung ein halbwegs brauchbarer Magier werden können. In den Dämmerlanden gab es jedoch keine Magierschulen mehr, und die wenigen begabten Männer und Frauen, die noch in den Landen am Großen Strom wirkten, galten den Menschen als unheimliche und gefährliche Leute, denen man am besten weit aus dem Weg ging.
Khaton seufzte und fuhr mit den Fingern durch seinen langen, weißen Vollbart. Die Welt war aus den Fugen gegangen, dabei hätte nach Äonen des Krieges endlich Frieden herrschen müssen. Dieser Gedanke brachte ihn auf das Thema des heutigen Unterrichts zurück.
»Wir schreiben jetzt eine Klausur über die Stellung der Priesterschaften in der Heiligen Stadt Edessin Dareh sowie über die Aufgaben der Evari, wie die Wächter der Götter genannt werden!«
Kichern aus den hinteren Reihen kommentierte Khatons Ankündigung. Anscheinend nahmen einige Schüler diese Klausur nicht ernst.
Khaton beließ es jedoch bei einem mahnenden Blick und trat an die Tafel, um einige Stichpunkte aufzuschreiben. »Wie ihr alle wisst, wird das Gebiet beiderseits des Toisserech, der im Volksmund nur der Große Strom genannt wird, als Dämmerlande bezeichnet. Hier im Westen, auf der goldenen Seite, liegen eure Heimatländer, während sich jenseits des Stromes auf der roten Seite die Reiche der Dämonenanbeter befinden.«
Ein junger Mann gähnte demonstrativ, und die verhinderte Heilerin legte die Rechte vor den Mund, um ihr spöttisches Lächeln zu verbergen.
Für Khaton war dies ein Grund, weiter auszuholen. »Vor tausend Jahren gab es noch keine Dämmerlande. Damals herrschten unsere Götter, der weiße Meandir, der gelbe Talien und der grüne Tenelin auf unserer Seite und die beiden Dämoninnen und der Dämon des Ostens jenseits des Stromes. Wie heißen die Dämoninnen, und was sind ihre Farben?« Khatons Zeigefinger stach auf eine seiner Schülerinnen zu. Diese schluckte und stand schließlich auf.
»Die blaue Ilyna und die violette Linirias, glaube ich!«
»Du glaubst richtig«, antwortete Khaton mit einem leisen Grollen. »Doch wer ist der Widerpart unseres großen weißen Gottes Meandir?«
»Der schwarze Giringar!« Diesmal gab es kein Zögern.
Khaton nickte. »Giringar ist der Herr des Schwarzen Landes. Vor tausend Jahren reichte dieses bis an den Großen Strom und an einigen Stellen sogar darüber hinaus. Damals herrschte ein erbitterter Krieg zwischen unseren Göttern und den Ostdämonen, und jede Seite versuchte mit allen Mitteln, den Sieg zu erringen. Die Verluste in diesen Kriegen waren schrecklich, und schließlich begriffen alle, dass eine Weiterführung der Kämpfe das Ende allen Lebens bedeutet hätte.
In einem seltenen Augenblick der Vernunft gingen die Ostdämoninnen und Giringar auf das Verhandlungsangebot der großen Götter Meandir, Talien und Tenelin ein, und alle sechs trafen sich in eigener Gestalt … wo?«
Diesmal war der zum Magier begabte Schüler an der Reihe. Er hatte wohl an etwas anderes gedacht, denn er setzte mehrmals zur Antwort an, ohne jedoch etwas zu sagen. Schließlich raunte ihm sein Banknachbar das entsprechende Wort zu.
»In Edessin Dareh, verehrter Herr Professor Valgrehn !«
Khaton nickte. »Ganz genau, in Edessin Dareh, wie es unter kultivierten Menschen genannt werden sollte. Aus diesem Grund ist dies jetzt eine heilige Stadt und der Ort, an dem sich die obersten Tempel der Dämmerlande befinden. Die Götter und die Ostdämonen schlossen damals einen Frieden, der für immer gelten sollte, und zogen ihre Heere auf jene Gebiete zurück, die heutzutage das Weiße, das Gelbe, das Grüne, das Blaue, das Violette und das Schwarze Land genannt werden. Zwischen den Götterreichen des Westens und den Dämonengebieten im Osten wurde eine neutrale Zone geschaffen, die man heute Dämmerlande nennt, weil diese Teile der Welt nicht mehr zu den Götter- und Dämonenreichen zählen.
Für die einzelnen
Weitere Kostenlose Bücher