Stern der Göttin
zugehalten hatte.
»Hast du vielleicht ein bisschen Milch für mich?«, fragte sie Ilanath verzweifelt.
Diese schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich bedauere, aber Sarliks Söldner, die immer wieder umherschweifen, hindern uns daran, anderes Vieh außer Geflügel zu halten.«
Bei dem Gedanken an ein saftiges Brathähnchen lief Laisa das Wasser im Mund zusammen, und sie war kurz davor, auf ihren Status als Hohe Dame Ilynas zu pochen, damit man für sie einem Gockel den Hals umdrehte.
Sie begriff aber rechtzeitig, dass das gemeinsame einfache Mahl für die Menschen im Dorf einen fast sakralen Charakter besaß. Dadurch, dass sie das Essen mit ihnen teilte, söhnte sie diese Leute mit dem harten und gefährlichen Leben aus, das sie hier an den Grenzen des Niemandslandes zwischen Maraand und Sarliks Machtbereich führen mussten. Daher zwang Laisa auch den scharfen Tee hinunter, obwohl ihr dabei die Tränen über die Wangen rannen.
Wenigstens war das Nachtquartier bequem. Laisa und ihre Begleiter konnten auf weichen Matten schlafen, die im Tempel ausgelegt worden waren, und die Ausstrahlung der dreigestaltigen Statue schenkte ihnen eine erholsame Nachtruhe. Am Morgen kam dann jenes Zeremoniell, das Ilanath bereits angekündigt hatte. Auf ihre Bitten hin musste Laisa sich auf einen geflochtenen Sessel setzen, und die gesamte Bevölkerung der Siedlung defilierte an ihr vorbei, um sie zu berühren. Die Augen der meisten leuchteten dabei in einer Weise auf, die Laisa beschämte, denn sie kam sich wie eine Hochstaplerin vor. Immerhin war ihre eigene magische Farbe Weiß und sie selbst alles andere als eine Dame aus dem Blauen Land.
Daher war sie froh, als sie unter Zurücklassung einiger Haare, die vorsichtig an ihrem Rücken abgeschnitten worden waren, aufbrechen und das Dorf verlassen konnte. Die Bevölkerung gab ihr noch ein Stück weit das Geleit und kehrte dann an ihre Arbeit zurück.
Aufatmend ließ Laisa ihre Stute schneller laufen. Dabei schüttelte sie mehrmals den Kopf und sah dabei so konsterniert aus, dass Ysobel verwundert zu ihr aufschloss. »Was bedrückt dich? Es ging doch alles bestens.«
»Ich habe diese Leute schrecklich hintergangen und ihnen etwas vorgespielt!« Laisa fühlte sich bei dem Gedanken so schlecht, dass sie beinahe zurückgeritten wäre und alles gestanden hätte.
Ysobel ließ ihre Selbstvorwürfe nicht gelten. »Diese Leute haben in dir das gesehen, was sie sehen wollten, und sie werden sich noch lange an deinen Besuch erinnern. Du hast ihnen das Gefühl gegeben, dass Ilyna sie nicht vergessen hat, und daraus werden sie neuen Mut schöpfen. Die Menschen hier sind im Allgemeinen ein friedliches Volk, doch ihre Heimat wissen sie zu verteidigen. Das werden Sarlik und seine Mordbuben noch am eigenen Leib erleben. Ich will nicht sagen, dass die Maraander ihre Küste bereits heute oder morgen zurückgewinnen werden, aber eines Tages werden sie es tun, und dann wird Maraandlion wieder zu einer Stadt, die man unbesorgt aufsuchen kann.«
»Ich stimme Ysobel zu. Du hast diesen Leuten in einer Situation Mut gemacht, in der sie ihn gut gebrauchen können.« Borlon mischte sich nun ebenfalls in das Gespräch ein, während Rongi dafür sorgte, dass Heklah weit genug zurückblieb, um nichts davon mitzubekommen. Gemeinsam gelang es der Tivenga und dem Bärenmenschen, Laisa das Schuldgefühl auszureden.
Mit einem Mal lachte diese bissig auf. »Eines sage ich euch: Das war die einzige Siedlung in diesem Land, die ich betreten habe. Um die anderen Dörfer und Städte mache ich einen weiten Bogen. Sonst hat man mich kahl geschoren, bevor ich die Grenzen Daschons erreiche.«
Borlon fiel belustigt in das Lachen ein. »Die Gefahr bestände durchaus. Die Anführerin hat dir ein ganz schönes Büschel Haare abgeschnitten, die nun wohl in dem Dorf als Talismane Verwendung finden dürften.«
Laisas empörtes Fauchen brachte nun auch noch Ysobel zum Lachen. Rongi kam neugierig näher, um zu erfahren, was die anderen so belustigte, und da mit ihm auch Heklah aufschloss, wechselten sie das Thema.
☀ ☀ ☀
Laisa machte ihre Ankündigung wahr und durchquerte Maraand auf heimlichen Pfaden. In der Nähe des Stromes entdeckten sie und ihre Begleiter in der Ferne immer wieder wehrhafte Palankendörfer, mit denen die Einheimischen den weiteren Verlust von Land an Sarlik und dessen Verbündete verhindern wollten. Doch auch weiter im Landesinnern wurden die Ortschaften von Palisaden oder hohen Zäunen geschützt.
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