Stern der Göttin
Befehl gegeben hätte, sofort aufzubrechen. Doch Ysobel, Borlon und Rongi schritten bereits auf die Fährstation zu und Meanil folgte ihnen, neugierig darauf, wie die Welt sich in der Zeit, in der sie versteinert gewesen war, gewandelt haben mochte.
In der Fährstation starrten die Schiffer zwar mit großen Augen die Gruppe an, und der eine oder andere murmelte eine leise Verwünschung, keiner jedoch wagte es, eine Eirun-Dämonin und ihr Gefolge zu behelligen. Allerdings verlief der Abschied vom östlichen Ufer nicht ohne Tränen. Rongi hatte sich Laisa ohne Wenn und Aber angeschlossen. Wo sie hinging, da war auch seine Heimat, so dass ihm der Abschied von seiner Seite des Flusses leichtfiel. Ysobel aber heulte wie ein Schoßhund, weil sie die östliche Seite verlassen musste. Sie brachte es jedoch noch weniger über sich, sich von Laisa und den anderen zu trennen und allein in diesen Wirren zurückzubleiben.
Die Überfahrt auf die westliche Seite verlief ohne jeden Zwischenfall. Als das Ufer näher kam, schlang Borlon seinen Arm um die Schulter der Tivenga. »Wenn es dir ein wenig hilft, teile ich meinen Marangree-Wein mit dir. Er wird für dich wie ein Gruß aus deiner Heimat sein.«
Ysobel lächelte unter Tränen. »Meine Heimat ist die gesamte östliche Welt vom Strom bis zu den Ländern unserer Götter. Wir Tivenga sind fahrendes Volk und überall gern gesehen, weil wir die Menschen mit unseren Künsten erfreuen.«
»Weißt du, ich würde deine Kunststücke auch gerne sehen. Wenn wir bei meinem Volk sind, wirst du sie aufführen und ihnen dadurch zeigen, dass es unter den Leuten von jenseits des Stromes auch solche gibt, mit denen man Freundschaft schließen kann.«
»Ich möchte auch zeigen, was ich kann«, rief Rongi dazwischen.
»Das wirst du, mein Kleiner!« Borlon zerzauste ihm lachend das Stirnhaar und schüttelte dabei über sich selbst den Kopf. Nie hätte er gedacht, dass er für Wesen von der anderen Seite des Stromes ein Gefühl wie Freundschaft empfinden könnte. In dieser Hinsicht verband ihn mit Ysobel und Rongi mehr als mit der weißen Meanil, die ihm zu unnahbar war.
Mit einem Seufzen wandte er sich der kleinen Halbinsel zu und blickte auf das gelbe Haus der Fährstation. Längst hatte Kapitän Yondal das Kommando übernommen, und Rekk arbeitete als Matrose. Jetzt zeigte Borlon lachend auf die Wirtin, die gerade aus der Tür starrte und es schier nicht glauben konnte, das graue Schiff so rasch wiederzusehen. Sie winkte und lief einige Schritte auf die Anlegestelle zu. Ihre Stimme trug dabei bis zur Fähre.
»Was ist denn bei euch drüben los? Ihr seid doch erst vor fünfundzwanzig Tagen hier gewesen. Ist denn so viel Verkehr bei euch?«
»Und ob es das ist«, rief Laisa lachend zurück. »Aber jetzt rasch mit dir zurück an den Herd. Lege den größten Fisch in die Pfanne. Mein Magen knurrt nämlich fürchterlich.«
»Das hätte ich mir denken können, dass man euch drüben hungern lässt!« Mit diesen Worten machte die Wirtin kehrt und verschwand wieder in ihrer Herberge.
Yondal steuerte sein Schiff geschickt durch die schwerfälligen Goisen-Schiffe und wurde von den Männern dort lachend begrüßt. Es kam Laisa beinahe so vor, als betrachteten die Schiffer das Erscheinen der Maraand-Fähre als Zeichen, dass die Welt langsam wieder ins Lot kam.
Als sie dann auch noch Meanil sahen, die erste Götterland-Eirun, die seit dem Friedensschluss diese Gestade betrat, und die Macht spürten, die diese ausstrahlte, nahm selbst der rauhbeinigste Goise seine Mütze vom Kopf. Jeder, der hier dabei war, wusste, dass er davon noch seinen Enkeln würde berichten können.
Laisa, die als Erste das Schiff verlassen hatte, bemerkte die Reaktionen der Leute, drehte sich um und musterte die Eirun verblüfft. Kaum hatte die Frau den Fuß auf den Boden gesetzt, wirkte sie auf einmal wie ein Wesen aus einer anderen, edleren Welt. Hatte sie drüben noch einer hochgewachsenen, hageren Menschenfrau mit beinahe ausgemergelten Zügen geglichen, straffte ihre Gestalt sich nun und wirkte noch größer. Dabei leuchtete sie von innen heraus. Ihr schmales Gesicht erschien auf einmal wunderschön, aber auch sehr hoheitsvoll, und ihre Augen glichen silbrigweißen Sternen. Auch ihr Haar wurde voller und glitzerte wie frisch gefallener Schnee an einem sonnigen Wintertag. Sie trug auch nicht mehr die Kleidung, in der sie sich einst im Krieg versteinert hatte, sondern ein weites Gewand aus einem Gewebe, das so leicht war
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