Stern der Riesen
Packard zuckte die Achseln. »Für die gilt genau das gleiche. Reine Erfindung. Sie hat es nie gegeben.«
»Sie lassen sich aber in den thurischen Aufzeichnungen nachweisen«, sagte Lyn. »Wir brauchen ja die Nachricht von der Begegnung in Alaska nicht in die ganze Welt hin-auszuposaunen, zumindest jetzt noch nicht, aber wenn die Zeit dafür gekommen ist, können wir einen ganzen Planeten voller Ganymeder als Zeugen für uns auffahren.«
»Das ist wahr, aber das würde nur bestätigen, daß da irgendwelche merkwürdigen Funksprüche eingegangen sind, die niemand offiziell abgeschickt hat. Sie können nicht bestätigen, woher sie kamen und wer sie abgeschickt hat. Das Funkformat könnte so gefälscht sein, daß es wie das von Bruno aussieht.« Packard schüttelte noch einmal den Kopf.
»Wenn Sie alles genau durchdenken, werden Sie sehen, daß die Beweise bei weitem nicht schlüssig sind.«
Lyn sah Caldwell flehentlich an. Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich muß ihm recht geben. Ich möchte diese Leute ebensogern wie Sie zur Strecke bringen, aber zur Zeit reichen unsere Beweise dafür einfach noch nicht aus.«
»Das Problem ist, daß man einfach nicht nahe genug an sie herankommt«, schaltete sich Benson wieder in die Unterhaltung ein. »Sie machen nicht viele Fehler, und wenn es doch einmal passiert, gibt es dafür keine Zeugen. Dann und wann sickert etwas wie die Angelegenheit in Bruno durch, aber das ist nie genug, um sie damit wirklich zu packen. So etwas brauchen wir – einen Fehler von ihnen, mit dem wir sie wirklich packen können. Wir müßten einen Spitzel einschleusen, direkt in Sverenssens Nähe.« Er schüttelte skeptisch den Kopf. »Aber so etwas muß lange und sorgfältig geplant werden, und außerdem müßten wir lange suchen, bis wir dafür den richtigen Mann – oder die richtige Frau –gefunden haben. Wir werden uns daransetzen, aber erwarten Sie bitte nicht zu schnell irgendwelche Resultate.«
Lyn, Caldwell und Pacey wohnten allesamt im Washington Central Hilton. Sie aßen an diesem Abend zusammen, und beim Kaffee redete Pacey weiter über das, was sie in Packards Büro erfahren hatten.
»Die gleiche grundlegende Auseinandersetzung läßt sich durch die gesamte Geschichte verfolgen«, sagte er ihnen.
»Zwei gegensätzliche Ideologien – auf der einen Seite der Feudalismus der Aristokratie und auf der anderen Seite der Liberalismus der Handwerker, Künstler, Wissenschaftler und Städtebauer. Das gleiche trifft für die Sklavenhalterge-sellschaften ebenso zu wie für die intellektuelle Unterdrük-kung durch die Kirchen im Mittelalter, für den Kolonialis-mus des englischen Empire und später für den Kommunismus des Ostens und die Konsumgesellschaften des Westens.«
»Laß sie hart arbeiten, gib ihnen etwas, woran sie glauben können, und bringe ihnen nicht bei, zu scharf nachzudenken, was?« meinte Caldwell.
»Genau.« Pacey nickte. »Eine gebildete, wohlhabende und emanzipierte Bevölkerung, das wäre das letzte, was diese Leute wollen. Macht beruht auf der Einschränkung und der Kontrolle von Reichtum. Naturwissenschaftler und Technologie bieten unbeschränkten Reichtum an. Daher müssen die Naturwissenschaftler und die Technologie kontrolliert werden. Wissen und Vernunft sind Feinde –
Mythen und Unvernunft sind die Waffen, mit denen sie bekämpft werden.«
Eine Stunde später, als die drei um einen kleinen Tisch in einem stillen Alkoven an einem Ende der Halle saßen, dachte Lyn noch immer über die Unterhaltung nach. Sie wollten noch einen letzten Drink zu sich nehmen, um den Tag abzuschließen, aber die Bar war ihnen zu laut und zu voll gewesen. Lyn überlegte sich, daß Vic diesen gleichen Krieg bewußt oder unbewußt sein ganzes Leben lang geführt hatte. Die Sverenssens, die fast den Kontakt mit Thurien unterbrochen hatten, standen Seite an Seite mit der In-quisition, die Galilei zu seinem Widerruf gezwungen hatte, mit den Bischöfen, die Darwin bekämpft hatten, mit dem englischen Adel, der Amerika als Eigentum und als Markt für die heimische Industrie betrachtet hatte, und mit den Politikern auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs, die das Atom an sich gerissen und eine ganze Welt mit ihren Atombomben erpreßt hatten. Sie wollte in diesem Krieg ihren Beitrag leisten und wenn es auch nur eine Geste war, mit der sie zeigen konnte, auf welcher Seite sie stand. Aber was konnte sie tun? Sie hatte sich noch nie so unruhig und zur gleichen Zeit so hilflos
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