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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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ich, daß Johannes Evangelist ebensowenig eine Rotation um seine Achse vollführt wie unser Mond, sondern in beständiger Faszination und ewiger Anbetung sein Antlitz der relativ nahen Sonne zukehrt, wodurch auf seiner Tagesseite die furchtbare Mittags- und Sommerhitze sich niemals abkühlen kann. Aber es waren nicht wissenschaftliche Fragen und Überlegungen, die meine Seele bewegten, während ich immer geistesabwesender meine Hände ins Bleimeer tauchte oder hochgewirbelt in die Höhe sprang.
    Ich dachte daran, daß ich der einzige noch im neunzehnten Jahrhundert geborene Mensch war, der seinen Fuß auf einen anderen Planeten setzen durfte. Ich fühlte ungenau, daß mir aus diesem Faktum gewisse Verpflichtungen erwüchsen, obwohl ich jetzt nicht wissen konnte, daß ich je würde vor Ohren, die meine Sprache verstanden, Rechenschaft ablegen dürfen. (Es war aber doch bemerkenswert, daß in diesem Augenblick, wie immer wieder von Zeit zu Zeit, das halbe Bewußtsein der Forschungsreise sich in mir geltend machte.) Ich versuchte also mich zu beruhigen und faßte den Entschluß, mit aller Objektivität und Kühle, die mir zu Gebote stand, jene Eindrücke, die der fremde Wandelstern erweckte, zu sammeln und meinem Gedächtnis für immer präzise einzugraben. Letzteres war nicht so selbstverständlich, wie es klingt. Das menschliche Gedächtnis wehrt sich dagegen, das ihm nicht Gemäße zu behalten. Alles aber, was nicht irdisch ist, das versucht unser menschliches Gedächtnis als ungemäß auszustoßen. Ich will, um der Steigerung meines Berichtes willen, mit den kleineren Dingen beginnen, in umgekehrter Reihenfolge also, wie ich diese neue Welt erlebte; denn das Größte des Größten schlug mir sofort aufs Herz. Der Bleidampf hatte sich wie silberner Ruß auf die Kopfkugeln gelegt, die unsere Augen schützten; das war ein großes Glück. Denn nur durch diese sehr dichte Dämpfung konnten wir überhaupt den verrückten Lichtgrad ertragen, der auf dem Johannes Evangelist herrschte. Instinktiv hielt ich mein Gesicht von der ungeheuerlichen Lichtquelle so lange wie möglich abgewandt, welche auf diesem Planeten unabwendbar und ununterbrochen zwischen Zenit und dem westlichen Horizonte stand. Ich blickte zumeist in östlicher Richtung auf die langen Züge der Küstengebirge: Sie bestanden aus schwarzen Basaltschroffen mit eingesprengten Porphyrwänden, wobei ich für die mineralogische Richtigkeit dieser Diagnose nicht gutstehen kann. Diese beiden übertriebenen Grundfarben von glänzendem Anthrazitschwarz und intensivem Blutrot sowie auch die wildzerrissene Formation der nicht sehr hohen, aber überaus abweisenden Gebirge, die sich an der Küste bis weit über die Sichtgrenze hinzogen, ähnelten nur ganz entfernt unserer irdischen Geographie. Eine andere Welt als die Erdenwelt hatte diese Felsen von funkelnder Schlacke hervorgebracht, ich möchte sagen ein anderer seelischer Charakter von Welt. Ich wußte sofort, es sei eine tote Welt, doch nur in unserem irdischen Sinne, da sie organisches Leben, wie die Erde es hervorbringt, zumindest auf dieser ihrer ewigen Tagseite nicht hätte dulden und ernähren können. An und für sich aber, das heißt in seinem eigenen Sinne, war Johannes Evangelist alles eher als eine tote Welt. Ich fühlte während dieser Minuten mit beispielloser Deutlichkeit, wie vermessen es ist, nur unserm grünen Leben die Eigenschaft des Lebens zuzubilligen. Die Landschaft, die ich durch den wohltätig abdunkelnden Bleidampf vor mir sah, drückte etwas aus, was ich nicht verstand, doch ich verstand, daß sie etwas ausdrückte. Wie verschieden sind schon die Charaktere innerhalb einer menschlichen Familie. Die Charaktere jener allerersten Sonnenkinder aber, welche Planeten heißen, sind nicht nur verschieden, sondern schwer beschreibliche Gegensätze. Ich hätte mir in meinem irdischen Bewußtsein niemals frei vorstellen können, daß es irgendwo im Universum diese tausendzackigen Gebirgszüge aus glanzschwarzem und blutrotem Fels geben könne, die ein stumpfsilbernes dampfendes Meer unter einem Himmel umsäumen, der nicht blau ist, sondern wie aus unerträglich blendenden, perlmutterigen und opaligen Fischschuppen gebildet, dahinter die Schwärze des Raumes lauert.
    Das geschmolzene Blei schlug in langen, langsamen und dickflüssigen Brandungsstrichen gegen die Steilküste, von der wir nur einige hundert Meter entfernt waren. Diese rhythmische Brandung erzeugte ein weit in die Ferne krachendes und

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