Stern der Ungeborenen
Scharlachs segnete ich Urslern, den gelehrten Mann, der lange nach mir dieses erste grundlegende Paradoxon formuliert hatte. Und noch mehr als den Mann segnete ich seine erhabene Erkenntnis, die ich als zukünftiger Mensch völlig begriff, jetzt als gegenwärtiger Mensch, da ich dies schreibe, nur zu begreifen ahne – jene grundlegende Erkenntnis, daß eine Größe größer sein kann als sie selbst. Damals jedoch in jener fernsten Zukunft, da ich auf dem Bleimeer des Johannes Evangelist stand, schwoll mir das Herz, und mir war, als müßte ich zurückeilen zu meinen alten Zeitgenossen und ihnen diese Wahrheit mitbringen, die nicht nur für die Sonne gilt, sondern das heilige Gesetz des freisten Sonnenkindes ist, der Menschheit.
Vierzehntes Kapitel
Worin das vorige Kapitel auf einem anderen Globus – dem Apostel Petrus – fortgesetzt wird, aus einer beängstigenden Lage durch die Hilfe von Dunkelengeln in die Freiheit zurückführt, um endlich ganz unversehens aus dem interplanetaren in den interatomaren Raum zu geraten.
Mir war es, als erwachte ich aus einem dumpfen, einem ganz und gar fürchterlichen Schlaf. Aber vielleicht hatte ich gar nicht geschlafen, sondern nur hingestreckt dem Atmen obgelegen auf diesem syrupigen Etwas, auf dieser gummigen Bodenwelle, auf diesem rostroten und quatschigen Morast, der mich sonderbarerweise ebensowenig verschluckte wie das geschmolzene Bleimeer auf dem Johannes Evangelist. Daß ich es diesmal mit einer Art von noch nicht ganz konsolidiertem Eisenerz zu tun hatte, fühlte ich instinktiv. Wie aber hätte ich Unbelehrter wissen sollen, daß auf der noch recht unbefestigten Oberfläche des Apostel Petrus, nach welchem man den alten Jupiter umgetauft hatte, sich ganze Kontinente von Sümpfen aus Magneteisen erstreckten. Kontinente, die größer waren als alle irdischen Festländer zusammengenommen? Dies und noch anderes mehr erfuhr ich viel später, zum Teil nach meiner Rettung, zum Teil erst nach meiner Rückkehr in die ehemalige Gegenwart, die für mich (unschätzbar bereichert) jetzt und hier an meinem Schreibtisch fortbesteht. Um meinen Zustand auf dem gigantischsten, massenhaftesten, schwerkräftigsten und trotzdem dünnsten aller Planeten zu schildern, genügt ein kurzes Wort: Ich lag. Es war freilich kein Liegen, wie man es auf Erden gewöhnt ist. Ich lag niedergehalten, zu Boden gedrückt, ja, ohne alle Zweifel, platt gepreßt. Fragt nicht jemand: plattgepreßt wovon? Von mir selbst plattgepreßt, muß ich antworten, und von niemand sonst. Das ingeniöse Raumtauchergewand der Chronosophen konnte mich wohl beschützen vor der Todeskälte des Grauen Neutrums und vor der Flammenglut des Johannes Evangelist, es konnte mich auch hier bewahren vor diesem unaufhörlichen, diesem agonischen Regen, welcher vom ewigen Dämmerhimmel des Königsplaneten auf mich herabtrommelte, um sich beim Aufprallen zugleich in lauen Dampf zu verwandeln – es konnte aber den Widerspruch zwischen meinen schwachen tellurischen Körperkräften und der gewaltigen Gravitation des Apostel Petrus nicht aufheben. Wie ich hier lag – oh, mir schwindelt bei dem Worte »hier« – wog ich gute achthundert Pfund. Ich lag also gewissermaßen auf mir selbst mit dem Gewichte eines jungen Nilpferds. Das Gute dabei war noch, daß ich auf etwas Weichlichem, Unentschiedenem, Schwammigem lagerte, eben auf jenem Morast aus dem rötlichen, noch nicht ganz konfigurierten Magneteisen, der vor mir zurückwich, ohne nachzugeben, wie ein Kissen etwa.
Ich versuchte mir ins Gedächtnis zurückzurufen, wie das alles gekommen war. Man wird mir aber aufs Wort glauben, daß bei den schrecklichen Gewichtsverhältnissen auf dem Apostel Petrus nicht nur jede kleine Bewegung mit Hand und Fuß eine Athletentat bedeutete, sondern auch jede Willensleistung des Gehirns, sei es Fühlen, Denken oder Erinnern, mit unvorstellbarer Anstrengung, raschester Erschöpfung und wilden Schweißausbrüchen verbunden war.
Wir hatten, wenn mich die Erinnerung nicht täuschte, den Johannes Evangelist mit der Schnelligkeit des Gedankens verlassen, wobei ich zum Mißvergnügen der Humanisten feststellen muß, daß der durchschnittliche menschliche Gedanke nur zu den mittelgeschwinden Fortbewegungsarten im Kosmos gehört, bleibt doch der schnellste Gedanke, um konzipiert zu werden, an die Sprache gebunden, in der Regel an die Monolingua und nur im genialen Ausnahmsfall an die Protoglossa. Das Licht aber und somit auch das Auge mit seinen Bildern
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