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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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ein abscheuliches Betragen, der Nutznießer des Unglücks zu sein und dem flüchtigen Bräutigam die Braut zu entführen, noch ehe der Hochzeitstag aufdämmert. Sowas wäre äußerst unappetitlich gewesen, pfui Teufel noch einmal, selbst in den allerersten Anfängen der Menschheit, in den Epochen von Pfeil und Bogen, von Dolch und Degen, lang vor der geliebten Eisenbahn. Wenn ich von meinen Jahren spreche, Lala, dann lachen Sie Ihr silbern mentales Lachen. Aber ich habe nicht mehr das Recht, mein eigenes Glück und meine eigene Trunkenheit zum Mittelpunkt der Welt zu machen. Oh, ich hab’s getan in meinem Leben immer und immer wieder. Ich verzichte nicht auf das Recht, in Sie verliebt zu sein, meine Lala. Das Recht aber, daraus egoistische Konsequenzen zu ziehen, hab’ ich nicht mehr. Als ein Revenant bin ich dazu verpflichtet, alles zu vergessen, was sich zwischen uns begeben hat, selbst den Kuß, den ich nie vergessen werde … Es geht um
Ihre
Zukunft. Ein wenig ist mir aber auch um mich selbst angst und bange. Wissen Sie, was Sie vorhin getan haben, mit Ihrem leuchtenden Ei, süßes Kind? Sie haben mich direkt aus dem Fegfeuer geweckt. Dort scheint meine eigentliche Residenz zu liegen. Dort hänge ich teils als Gewissensbiß im Leeren, teils krieche ich herum als Tausendfüßler der Schuld, um mich und meine andern Mordopfer auszugraben, die ich irgendwo verscharrt habe. Wenn ich mit meinem Bäuchlein auch nicht ausschaue wie ein Verführer, Lala, glauben Sie’s mir, man ist in der Urzeit mir nichts dir nichts zum Blaubart geworden. Auch jetzt haben nicht Sie mich verführt, wie ich Ihnen gerne weismachen möchte, sondern ich Sie, weil der Mann schon dadurch verführt, daß er begehrt. Ich will aber niemanden mehr verscharren müssen, niemanden mehr und am wenigsten Sie, Schön-Lala …«
    Während ich wirren Sinnes und schweren Herzens dieses Gestammel hervorbrachte, meine Augen auf die weiße Wand gerichtet, war mir’s, als hörte ich viele Schritte. Sie schwiegen nicht, als ich meine Rede abbrach, sie wanderten auf und ab, draußen im Labyrinth und innen in mir. Hingegen schwieg sehr höhnisch der Raum, in dem ich lag. Plötzlich empfand ich eine wilde Angst, die göttlichste Gelegenheit meines Lebens weggeworfen zu haben.
    »Gehen wir, Lala«, schrie ich beinahe auf und sprang vom Bette. Doch wo war Lala? Meine moralisierende, säuerliche Rede hatte sie mit Recht vertrieben. Die göttliche Gelegenheit war versäumt für immer. Meine Anständigkeit als Gast und gesetzter Ehrenmann blieb gewahrt.
    Schlaflos starrte ich in die Luft. Gott weiß wie lange. Es wuchs in mir immer unwiderruflicher der Entschluß, meinem astromentalen Abenteuer ein Ende zu machen. Wie das geschehen sollte, das wußte ich nicht. Es gab nur eines: »Fortgehen«. Im Hause der Hochzeiter hielt es mich nicht länger. Ich werde einfach gehen und gehen und gehen und irgendwo hinkommen. So dachte mein strapaziertes Gehirn. Ich werde niemanden mehr sehen und sprechen, vor allem nicht B. H. Der Wiedergeborene nämlich, mein bester Freund, würde mich überzeugen, würde mich überreden, würde mich zwingen hierzubleiben, obwohl mein Aufenthalt zwecklos geworden war für alle Teile, zwecklos für das zerstörte Hochzeitsfest und zwecklos für mich, denn ich hatte genug gesehen und gehört. Ich hatte in einer handvoll Stunden alles gesehn, gehört, gefühlt, was neu und wesentlich war in dieser astronomentalen Welt, vorzüglich aber den Djebel und das All, welches er umschloß. Das einzige, was ich nicht gesehn hatte, war jene Institution, die man dunkel und wahrscheinlich euphemistisch den »Wintergarten« nannte. Wenn ich meine geheimsten Empfindungen prüfte, so war ich noch immer neugierig, diese Institution kennenzulernen, in welcher sich die Epoche zu vollenden schien, wenn ich auch nicht im mindesten ahnte, wie. Doch nichts Sehens- und Wissenswürdiges dünkte mich nun, da Lala gegangen war, wertvoll genug, um mich neuen Lebenskonflikten auszusetzen und meine arme Seele, die es schwer genug hatte in ihrem gewohnten Fegfeuer, mit neu acquirierten Schwierigkeiten zu belasten. Unter all diesen wolkigen Überlegungen herrschte in mir eine qualvolle Unruhe, die ich nicht besser bezeichnen kann als: zielloser Fluchttrieb. Ich fühlte in meiner Tasche das Reisegeduldspiel, doch wollte ich es keineswegs benützen. Ich wollte gehen und gehen. Wenige Sekunden später schon stand ich im Garten unter den Lederlaubbäumen mit den regungslosen

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