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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Ahnfrau stoßen und schließlich in den Kutten der »Brüder vom kindhaften Leben« dem Uterus terrae matris entkommen.
    Ich habe während meines Lebens im zwanzigsten Jahrhundert niemals irgendwen niedergeschlagen. Als Knabe war ich dann und wann in Raufereien verwickelt, wobei mein Gegner und ich uns regellos am Boden zu wälzen pflegten. Was meinen Kriegsdienst anbelangt, so war ich zum Glück Artillerist und diente auch da nur kurze Zeit am Geschütz, wobei ich nach den mathematischen Berechnungen des Kommandanten die sogenannten »Richtelemente« einzustellen hatte, denn wir schossen unsere Granaten und Schrapnells ins Leere, ohne das feindliche Ziel zu sehen. Einen Menschen niederschlagen, das war eine Handlungsweise, von der man in den Verbrecherspalten der Zeitung las oder sogar in den Berichten über jene alkoholisierten Gesellschaften, in welchen sich die ebenso zügellosen wie hochbezahlten Halbgötter der sogenannten »Vergnügungsindustrie« von ihren künstlerischen Mühen zu erholen liebten. Sonst wurde hauptsächlich auf der Leinwand amerikanischer Filme niedergeschlagen. Da aber hatte ich stets das Gefühl, daß dergleichen rhythmische, im Kreise umlaufende Niederschlägereien nicht einmal im kriminellsten Leben vorkommen und der Realismus, wie so oft, nur deshalb für wahr gehalten wird, weil er keine Phantasie hat. So blieb es denn dem Wintergarten der astromentalen Zivilisation vorbehalten, die erste Örtlichkeit zu sein, wo ein ziemlich sanfter, sich leicht ekelnder Mensch wie ich jemanden auf den Kopf schlug, und noch dazu mit einer Schaufel. Ich will sofort gestehen, daß ich nicht mit Wut und Wucht zuschlug. Der Zweck bestand ja nur darin, den Animator zu betäuben, um ihn seines weißen Kittels zu berauben, was uns auch gelang. Ich schlug beinahe vorsichtig zu, da ich mir der sonderbaren Lebensschwäche der retrogenetischen Funktionäre voll bewußt war und keinen Mord begehen wollte. Und doch, es war ein unbekanntes und widerwärtiges Gefühl, als ich das Schaufelblatt auf den deformierten Langschädel des Animators niederfallen ließ, eine völlig neue Erfahrung für mich. Mein Freund und ich hatten uns hinter den salzweißen Büschen wohl versteckt, um dem Rückkehrenden aufzulauern. Zum großen Glück war es B. H. gelungen, sich aus der tödlichen Lethargie aufzureißen, in welche diese astromentalen Naturen in der Sphäre des Wintergartens zu verfallen pflegen. Der Anblick der Rübenmännchen, der Kataboliten und schließlich der Kampf um das Volk der eigenen Erinnerungen hatten ihn so nüchtern gemacht, daß er nicht mehr in jene schreckliche Todestrunkenheit verfiel wie früher, sondern krampfhaft umhersprang und sich Bewegung machte, um seine Wachheit zu steigern und in den Vollbesitz seiner Kräfte zu gelangen. Obwohl er kein Wort sprach, wußte ich doch zu meiner Befriedigung, daß er jetzt mindestens mit derselben Leidenschaft wie ich den Segnungen des Wintergartens zu entgehen trachtete. Als wir von unserm Versteck aus sahen, daß der Animator nicht allein kam, um unsern Zustand zu inspizieren, sondern in Gesellschaft von Badediener No. Zwei, griff B. H. seinerseits nach einem der Grabscheite, von denen an dieser Stelle ein ganzer Haufen zusammengetragen lag. Ohne daß wir uns erst miteinander verständigten, schlug er den Badediener nieder, als der Animator unter meinem sanften Hieb zusammenbrach. Ich setzte mir sofort die Zuckerbäckermütze von No. Zwei auf. Den beiden Betäubten die weißen Kittel abzustreifen, war ein hartes Werk, und B. H. und ich brachen dabei in Schweiß aus. Wir mußten sie ihnen über die Köpfe ziehen. Glücklicherweise hatte der Badehelfer den Krug mit dem Elixier mitgebracht, das mich sofort mit neuen feurigen Kräften erfrischte. Weder der Animator noch sein Untergebener trugen Unterkleider. Sie waren splitternackt. Es war eine graue, schwammige Nacktheit. Wenn man einen Finger in das Fleisch dieser Körper drückte, so blieb eine Delle zurück. Wir ließen beide über die Fläche der abgeknickten Brücke in den See gleiten. Das Leichte Wasser spritzte gierig auf. Beide kamen sogleich zu sich und taumelten hoch. Ich fürchtete schon, sie würden ohne weiteres an Land stapfen, da ja der See des Vergessens über sie keine Gewalt haben konnte; denn was hatten sie zu vergessen? Unerwarteterweise aber hatte das Wasser des Mnemodroms über Funktionäre des Wintergartens viel mehr Gewalt als über uns. Sie waren durchaus nicht immun. Ich bemerkte, daß

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