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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Wurzeln loszureißen und sich an unsern Beinen festzubeißen, in vampyrischer Wut. Es war nicht leicht, diese zeckenhaften Resultate der Retrogenese abzuschütteln. Ich fürchte, daß ich ein oder zwei von ihnen erwürgt habe.
    Wir hatten verschiedene sehr gefährliche Momente zu überstehen. Es geschah zum Beispiel, daß wir auf einem der laufenden Bänder, welches uns in die falsche Richtung brachte, wiederum in die Welt der Treibhäuser gerieten, wo gerade »Feierliche Einpflanzungen« stattfanden. Wir sahen kleine Gruppen vor dem jeweiligen Mann-Wiegengrab. Sie bestanden aus dem diensttuenden Animator, Badedienern, Gärtnern und dem Kandidaten, der, durch Moorbäder schon gehörig präpariert, jenen wonnigtrunkenden Gesichtsausdruck zeigte, den ich an B. H. kennengelernt hatte. Mit geschlossenen Augen schienen die Kandidaten Engelstimmen zu lauschen oder unsagbare Liebeserfüllungen zu erleben, während der Animator irgend etwas rezitierte, was ein Gedicht sein mochte, und die Gärtner die nackten, vermutlich bewußtlosen Gestalten mit Leichtem Wasser besprühten. Wir fuhren langsam vorüber, störende Eindringlinge. Manchmal rief man uns nach. Es ist ein Wunder, daß wir nicht festgehalten und verhaftet wurden. Vielleicht half es uns, daß B. H. nach Art der Badediener den Krug mit Elixier sich auf den Kopf gesetzt hatte. Wenn mein Freund auch nicht viel sprechen konnte, so entwickelte er doch immer mehr Kraft und Schlauheit, trotz der deprimierenden Irrfahrt, die nicht nur unsere Energien, sondern auch unsern Hoffnungsmut stark in Anspruch nahm. Der »Krug auf dem Kopf« hat uns gewiß aus der heikelsten Situation geholfen, in die wir uns verwickelt fanden. Wir waren längst wieder im Freien und auf der Suche nach der Grenzmauer, als wir plötzlich auf eine sehr große Kolonne von Weißbekittelten stießen, die uns entgegenkamen. Zweifellos ein Schichtwechsel der Nummernzähler. Ich versetzte B. H. einen leichten Stoß. Es blieb nichts anderes übrig, als uns dieser Kolonne anzuschließen. Die aufgeschwemmten, eunuchalen Figuren trabten schwankend des Weges. Ich wurde öfters angesprochen und gab darauf undeutliche, brummende Antworten. Und das war genau das Richtige, war doch hier unten alles Lebendige undeutlich und schwankend. Dennoch wußte ich, es hing nur an einem Haar, daß wir entdeckt und gefangen würden. Ich mußte mich beherrschen, um nicht einen Freudenruf auszustoßen, als aus der ewigen Tagnacht die Margueritenfelder auftauchten. Jetzt konnten wir die Mauer nicht mehr verfehlen. Wir blieben zurück. Ich riß B. H. mit mir ins Feld. Wir legten uns in die Margueriten, viele der Toten niederknickend. Als die Kolonne verschwunden war und wir uns wieder erhoben hatten, stolperte ich über etwas. Es war der rote Garnsfaden der Totenamme. Das zweite Mal hatte diese Unglückliche uns gerettet. Wir zwängten uns durch die Scharte in der Umfassungsmauer. Wir standen draußen. Wir lehnten uns aneinander an und versuchten, so tief zu atmen wie möglich. Jetzt erst sahen wir die Verschiedenheiten des Niveaus. Wir befanden uns in der Tiefe, während die fernen Lichtreflexe auf den Dächern der Glashäuser wie auf Bergen zu spielen schienen. Hoch über uns, unter dem entrücktesten Wolkenhimmel, wölbten sich viele Straßen, das heißt Brücken. Sie waren nichts als aluminiumsilberne Bänder, die, freischwebend und übereinander geschwungen, im Dämmer und Nebelreißen aufschimmerten. Es schien ganz und gar unmöglich, eine dieser Straßen zu erreichen. (Die mir unbegreifliche Konstruktion dieser Metallbänder bildete recht eigentlich das einzige Stück von »Zukunftsarchitektur«, wie man sie sich so vorstellt, die mir während meines ganzen Aufenthalts in der astromentalen Zeit zu Gesichte kam. Und dieses Stück »utopischer Architektur« befand sich in der Unterwelt.) Wir gingen los. Das sagt sich sehr leicht. In Wirklichkeit stolperten wir über einen Boden, der sich am ehesten mit stark geheizten Lederkissen vergleichen läßt. Es war ungefestigte Erde und gemahnte an das plastilinartige Eisenmoor vom Apostel Petrus. Ich schweige von der Mühsal dieser Wanderung, bei der das Quälendste die Ungewißheit war, wohin sie führte. Ich versage mir, verschiedene Schreckensmomente näher aufzuführen, wie zum Beispiel diesen, als plötzlich der ganze Hohlraum von hundeartigen Stimmen und kläffenden Rufen ausgefüllt war, die sich das Wort »Seigneur« zuwarfen, und wir überzeugt waren, unsere Flucht sei

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