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Stern ohne Himmel

Stern ohne Himmel

Titel: Stern ohne Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Ossowski
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Noten zu tun? Er musste Zeit gewinnen.
    »Nein, wir waren ungefähr dreißig Mann.«
    Kimmichs gelassene Antworten begannen Jähde zu reizen.
    »Ich meine nicht, wie viele begnadigt wurden, sondern wer mit Ihnen hierher entlassen wurde!«
    »Arthur Dressler.«
    »Kommunistenschwein?«
    Kimmich wusste nicht, worauf Jähde hinauswollte. Es sah so aus, als wenn der andere die Noten nur zum Vorwand für Fragen über Dressler nahm. Kimmich stellte sich völlig ahnungslos, aber der Name des Freundes alarmierte seine Wachsamkeit bis in den letzten Nerv. Die Vorschrift, dass Häftlinge nach der Entlassung keinerlei Verbindung miteinander halten durften, hatte ihn nicht daran gehindert, mit Dressler in engem Kontakt zu bleiben. Der Freund hatte sofort wieder seine politische Tätigkeit als Kommunist aufgenommen. Mehrmals hatte Kimmich ihn durch Weiterleitung von Material oder Nachrichten unterstützt. Aber nach kurzer Zeit war Dressler untergetaucht, um nicht abermals in ein Konzentrationslager eingeliefert zu werden. So hatte er alle Verbindung mit Kimmich abgebrochen. Wenn Dressler jetzt erwischt worden war, bedeutete das gleichzeitig eine Verhaftung Kimmichs, denn es gehörte zu den Gepflogenheiten der Gestapo, in solchen Fällen den ganzen Kreis auszuheben.
    »Ich habe Sie gefragt, ob Dressler ein Kommunist ist?«
    »Wir gehörten alle zur Gruppe der politischen Häftlinge. Soviel ich weiß, war Dressler Bibelforscher.«
    Bei dieser Vorstellung musste Kimmich insgeheim lächeln. Hatte nicht Jähdes Frage bewiesen, dass Dressler noch in Freiheit lebte? Sonst hätte Jähde nicht mit so viel Hass gefragt, ob der Freund Kommunist sei.
    Jähde hatte umsonst auf den Busch geklopft.
    »Sie wissen, dass gegen Dressler abermals ein Haftbefehl läuft?«
    »Ach«, staunte Kimmich.
    Sein Blick heftete sich wie zufällig auf die Karte und blieb an der Sowjetunion hängen. »Er hat immer viel vom besseren Jenseits gesprochen.« Ohne sich um Jähde zu kümmern, ging Kimmich an die Karte und steckte die Nadeln so, dass die Front mitten durch das Großdeutsche Reich lief.
    »Ja«, fuhr Kimmich langsam fort, »er war wohl nicht der Einzige seines Glaubens.« Er wickelte die Fäden sorgsam um die letzte Nadel. »Ich nehme an, Sie haben nichts gegen diese kleine Korrektur einzuwenden.«
    »Hüten Sie sich! Diesmal kommen Sie mir nicht davon!«, sprudelte Jähde hervor.
    Es war Kimmich gelungen, Jähde aus seiner Lauerstellung zu locken. In der Wut würde Jähde den wahren Grund dieser Vernehmung preisgeben. Befriedigt beobachtete er, wie Jähde die Noten vom Schreibtisch riss.
    »Sie haben sich unterstanden«, schrie er, »den Schülern des Alumnates Ihren pazifistischen Singsang beizubringen!«
    »Es gibt kein Kompositionsverbot, Herr Rektor«, antwortete Kimmich höflich, »meine Musik steht lediglich unter Aufführungsverbot, und diese Maßnahme ist bis zur jetzigen Stunde eingehalten worden. Die Noten sind aus Versehen in dieses Haus gelangt. Die Kinder werden Ihnen das bestätigen.«
    Jähde hatte sich wieder gefangen. Er hielt die Blätter zwischen den Fingern, und während er Kimmich höhnisch betrachtete, war nur das Knistern des reißenden Papieres zwischen ihnen zu hören.
    »Sehen Sie«, sagte Jähde und fetzte die Noten in winzige Schnipsel, »so einfach ist das für mich, Sie zu erledigen. Dieses Mal werden Sie schneller in Ihrem besseren Jenseits sein, als Sie glauben.«
    Kimmich neigte den Kopf, und Jähde, der diese Geste als furchtvolle Ergebenheit hinnahm, konnte nicht das Lächeln auf Kimmichs müdem Gesicht sehen.
    »Verschwinden Sie«, sagte er, »und zählen Sie Ihre Stunden, wenn Sie wollen!«
    Als er hinter Kimmich die Tür geschlossen hatte und Jähde sich wieder seinem Schreibtisch zuwandte, leuchtete ihm der rote Faden der neu gesteckten Front entgegen.

Hinter der Stadtmauer, im ehemaligen neuen Viertel, lag zwischen den Trümmern ein Soldat. Er war müde, aber Hunger und aufsteigende Kühle ließen ihn nicht einschlafen. Er sah zur Stadt hinüber.
    Ich liege hier auf einem Friedhof, dachte er, und versuchte von neuem, auf den kantigen Steinen eine bequeme Stelle zu finden. Wenn ich nur nicht solchen Hunger hätte, aber in meinem Uniformrock darf ich es nicht wagen, in der Stadt um Brot zu bitten. Deserteure werden erschossen oder auf dem Marktplatz als Kriegsverräter und Halunken an Laternen geknüpft. Und an der Front wurden die deutschen Landser abgeschossen. Und wer in Gefangenschaft geriete, verhungere oder

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