Stern ohne Himmel
wenigstens eine, und dann helf ich deinem Bastard aus den Speckseiten heraus.«
Ruth sah ein, dass es für Abiram keine andere Möglichkeit der Hilfe gab. Da sie noch vor dem Abendessen die Noten von Antek holen musste, machte sie sich, so schnell sie konnte, auf den Weg.
Abiram hatte die Kerzen gefunden und in einem Kreis auf die Kartoffelkiste geklebt. Er hatte das Holz ausgeschüttet und sich den Sack um die Schultern geworfen. Aber er wärmte kaum. Mit einem Stückchen Draht ritzte er den Judenstern in das Kistenholz. Jede Linie zog er aus, bis das Zeichen vollständig war.
»Ob ich nur zum Totschlagen geboren bin?«, dachte er, »oder warum gibt es uns Juden?«
In seine Gedanken schrillte der Ruf des Käuzchens. Abiram lauschte. Das fragende Quiwitt-quiwitt kam immer näher.
»Hast du dich wieder erschrocken?«, fragte Ruth in die Stille.
Er erkannte ihr Gesicht zwischen den Eisenstäben.
»Ein bisschen, aber nicht sehr.«
»Das Käuzchen ist unser Ruf. Du musst ihn dir merken.« Sie steckte die Hand durch das Gitter. »Komm rauf, ich hab dir was mitgebracht!«
Er nahm die Kerzen und befestigte sie an den oberen Lattenenden, rechts und links von dem Loch.
»Wie ein Heiliger siehst du jetzt aus«, lachte Ruth.
»Ja, bloß der Judenstern fehlt, den mir deine Freunde weggenommen haben. Aber siehst du, da unten auf der Kiste hab ich mir einen neuen gemalt, damit ich es nicht etwa vergesse.«
Ruth stopfte etwas weiches Graues durch die Gitter. »Du wirst staunen!« Sie drehte eifrig das Zeug zusammen. »Jetzt versuch, ob du drankommst.«
Abiram reckte sich noch weiter. Seine Fußspitzen brannten, und es war kaum möglich, Arm und Kopf durch das Loch zu zwängen.
»Jetzt hast du’s!«, rief Ruth, »zieh, aber langsam, damit es nicht reißt.«
Vor Abirams Augen entfaltete sich eine warm gefütterte Jacke der deutschen Wehrmacht.
»Die ist für mich?«, stammelte er.
»Natürlich!«
»Aber ich kann doch nicht diese Jacke anziehen!«
»Wieso, sie ist doch warm?«
Seine Finger glitten über das Hoheitsabzeichen mit dem Hakenkreuz.
»Ich als Jude?«, fragte er und die ganze Wehmut des Ausgestoßenseins lag in dieser Frage.
»Ja, du als Jude«, wiederholte Ruth ärgerlich. »Du frierst auch nicht mehr oder weniger als andere Menschen. Nimm das Ding. Wer sieht es schon.«
Sie erzählte ihm ihr Erlebnis mit dem Soldaten. Wie er sie bedroht hatte und Großvaters Jacke wegnehmen wollte, bis sie ihm in ihrer Not den Tausch vorgeschlagen hatte. »Ich habe ihm gesagt«, fuhr sie fort, »dass ich eine Speisekammer wüsste. Er könnte sich satt essen, wenn er das Schloss aufbricht.«
»Und?« Abirams Augen glänzten. Er vergaß, dass er die Uniform nicht anziehen wollte. Er warf seinen Holzsack von den Schultern und schlüpfte in die warme Jacke.
»Er will es machen, aber ich soll ihm erst eine Wurst bringen, hat er gesagt. Damit er sieht, dass es stimmt.«
»Hast du ihm was von mir erzählt?«
»Nein«, log Ruth.
»Komisch, das mit der Wurst«, überlegte Abiram, »wenn er gewollt hätte, dann wäre er gleich mitgekommen.«
»Das glaub ich nicht. Der möchte eben ganz sichergehen, weil er Angst hat.«
Abiram stieg von seiner Kiste und holte eine Wurst vom Haken. Es war nicht einfach, sie zu Ruth durch das Kellerfenster zu bringen. Er band sie an einen Besenstiel, den er in der Ecke fand. Vorsichtig schob er das Holz nach oben. Ruth lag platt auf dem Bauch und hatte den Arm, so weit es ging, durch das Gitter gesteckt.
»Noch ein bisschen höher«, keuchte sie.
Aber die Wurst rutschte wie an einer Seilbahn herunter und schlug Abiram ins Gesicht.
»Du musst einen Nagel in den Stiel schlagen, dann geht es besser.«
Aber es gab weder Nagel noch Hammer.
»Er muss die Wurst haben, sonst wird er uns nicht helfen«, sagte Ruth ungeduldig.
Abiram ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er knüpfte eine Schnur an den Besenstiel und an die Schnur die Wurst. So musste es gehen. Den Besenstiel konnte er bis zu Ruth hinüberreichen. Aber als er die Wurst langsam nach unten gleiten ließ, löste sich die Schnur. Unerreichbar lag die Wurst zwischen Verschlag und Fenster im Dreck.
»Weiß einer, wie viele Würste hier hängen?«, fragte Abiram und starrte unter sich in die Finsternis.
»Ja, Paule, der zählt immer alles«, flüsterte Ruth. Sie konnte kaum weitersprechen. »Wenn der Soldat dich jetzt nicht rauslässt und es fehlt eine Wurst …«
»Ach, lass mal«, versuchte er sie zu trösten, »ich hab schon
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