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Stern ohne Himmel

Stern ohne Himmel

Titel: Stern ohne Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Ossowski
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dazwischen!« Antek wurde grob. »Sie hat es so idiotisch angestellt, wie sie nur konnte. Ich möchte wissen, was sie sich dabei gedacht hat! Dabei wollte sie vorhin noch mit uns kommen.« Er sah zu Abiram. »Sie wird schon gewusst haben, warum sie zu Hause geblieben ist.«
    »Was willst du damit sagen?«, fragte Abiram.
    »Ist ja egal«, antwortete Antek schnell, »wir sind ja jetzt da! Was glaubst du, warum Paule den Zweitschlüssel organisiert hat?«
    Paule blies vor Staunen die Backen auf. Antek fuhr fort: »Doch bloß, um dich hier rauszuholen!«
    »Das ist ja ein dolles Ding!«, stotterte Paule und hielt den letzten Kerzenstummel dicht vor Anteks und Abirams Gesicht. Er wollte wissen, was hier eigentlich gespielt wurde und wieso Antek dazu kam, ein solches Bündel von Lügen aufzutischen.
    Paule sah, wie Abiram vertrauensvoll lächelte, wie Antek beschwörend den Finger auf den Mund legte. Da verstummte er.
    Abiram, der nicht mehr an der Aufrichtigkeit der Jungen zweifelte, schilderte in kurzen Sätzen, was sich zugetragen hatte.
    »Und für die Würste«, schloss er seinen Bericht, »wollte der Soldat das Schloss aufbrechen. Aber weder der Soldat noch Ruth sind zurückgekommen.«

Willi war froh, Paules Taschenlampe mitgenommen zu haben. Er fühlte sich sehr allein, als er, nur noch von seinem Schatten gefolgt, durch die Nacht lief. Die Pfade zwischen Trümmern und Schutt schienen ihm unendlich. Er begann zu pfeifen, einen zackigen Marsch. Aber mitten in der Nacht machte ihm dieses Kampflied auch keinen Mut.
    Es ist verrückt, zu pfeifen, dachte Willi, das kann jeder hören. Er begann zu summen, gerade so laut, dass es nur seine eigenen Ohren wahrnahmen. Willi dachte an den Tag, als er zum ersten Mal vom Vater die Uniform der Hitlerjugend angezogen bekam. Damals war er acht Jahre alt und ging noch nicht ins Alumnat. Es war ein Frühlingssonntag. Die Mutter hatte zum ersten Mal ein Sommerkleid an und alle Menschen waren guter Laune. Eigentlich hätte Willi erst am Nachmittag die Uniform anziehen dürfen, denn erst dann fand die Feier statt, in der er zum Pimpf vereidigt werden sollte. Aber Willi bettelte so lange, bis er schon am Vormittag seine Uniform anziehen durfte. Das braune Hemd, ein wenig zu groß, weil es auf Zuwachs gekauft worden war, dazu die schwarze Hose mit Koppel und Schulterriemen. Er hatte immer wieder über das silberglänzende Hakenkreuz im Koppelschloss gestrichen. Obwohl es neu war, erschien es Willi nicht blank genug. Er ging in die Küche und putzte es, bis er sich darin spiegeln konnte. Nur den Schlips durfte er noch nicht anlegen. Dazu musste er erst einige Zeit Pimpf gewesen sein. Aber probieren konnte er ihn. Als der Vater zum Frühstück kam, grüßte Willi mit strammer Haltung: »Heil Hitler!« Der Vater grüßte lachend zurück, dann nahm er ihm den Schlips ab. »Damit spielt man nicht«, sagte er und legte ihn wieder in den Schrank.
    Willis Eltern wohnten in der Nähe des Güterbahnhofs. Direkt hinter dem Haus lag eine viel befahrene Gleisstrecke, der Bahndamm gehörte zu Willis Lieblingsplätzen. Stundenlang konnte er dasitzen und die vorbeifahrenden Güterwagen zählen oder den Soldaten winken, die in ihren Transporten von Ost nach West oder von West nach Ost vorbeikamen. Er bewunderte die großen Geschütze, Panzer und Kübelwagen, die an ihm vorbeisausten. Später freute er sich über die Losungen auf den Lokomotiven: »Räder müssen rollen für den Sieg!«
    Einmal am Tag kam ein D-Zug vorbei. Willi liebte diesen Zug am meisten. Wenn er sich eine Minute vor der Durchfahrt auf den Boden an das Gleis legte und das Ohr an den Schotter presste, dann konnte er ein leichtes Vibrieren spüren, das schnell zu einem Dröhnen wuchs, bis es sich in rollendes Getöse verwandelte. Dann war es Zeit, dass Willi sich den halben Damm hinunterkugeln ließ, um nicht erfasst zu werden. Ein gefährliches, verbotenes, wunderbares Spiel. Jedes Mal das gleiche Prickeln, so lange wie möglich in der Nähe des Gleises zu bleiben.
    So konnte Willi es sich auch an einem Sonntag nicht verkneifen, an den Bahndamm zu gehen, zumal er das neue schöne Pimpfenhemd mit dem Koppel trug. Es war früh am Vormittag und noch ein halbe Stunde Zeit, bis der Zug planmäßig vorbeifahren musste. Aber der Augenblick, sich unbemerkt zu dem verbotenen Bahndamm zu schleichen, war gerade günstig. Wartend saß er am Hang im Gras, seine Hände umschlossen stolz das Koppel.
    Endlich vernahm er in der Ferne das dumpfe

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